- 101 -Schabbing, Bernd: Musik- und Audiotechnologien zwischen Technik, Marketing und Kundenwunsch 
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  • die Aufnahmen von kleinen Besetzungen, die in allen Richtungen gehört werden konnten, etwa die Kompositionen der Renaissance, die in der Instrumentierung nicht festgelegt sind und mit einer Singstimme, einem Streichinstrument, einem Blas- und einem Zupfinstrument besetzt ist. Die vier Stimmen sind alle von der Bedeutung her absolut ebenbürtig, und da ist es sehr reizvoll, die komplizierte Komposition so je nach Abhörrichtung neu zu erleben. Auch die späten Quartette von L. v. Beethoven sind so versucht worden.
  • Die Vorteile der Quadrophonie wurden oben beschrieben. Nachteile waren darin zu sehen, dass die Qualität der Aufnahmeräume erheblich höher sein musste als bei der durchschnittlichen Stereoaufnahme. Die für eine interessant klingende Aufnahme notwendigen Manipulationen wie Stützmikrofone, Balanceausgleich zwischen verschieden lauten Instrumenten etc. mussten wesentlich vorsichtiger gehandhabt werden als bei der reinen Stereoproduktion, denn die räumliche Abbildung mit dem Hörer mittendrin deckte kleine »Mogeleien« schneller auf. Richtmikrofone mussten sehr sorgfältig für den jeweiligen Zweck ausgewählt werden. Die Wahl der »richtigen« Mikrofone für das rückwärtige Bild ist nie zu Ende diskutiert und erprobt worden, jeder Ingenieur hatte seine speziellen Ideen, aber Grundsätzliches ist nicht dokumentiert worden.

    Der Tonträger Schallplatte war im Grunde für die Quadro-Aufzeichnung ungeeignet. Er verlangte bei dem SQ Verfahren zu viele Einschnitte in die räumliche Gestaltung einer Aufnahme, so dass kein vernünftiges Stereobild erreicht werden konnte, da die encodierten gegenphasigen rückwärtigen Informationen das Stereobild verschmälerten und für Unschärfen der Abbildung sorgten. Schon eine Ebenentrennung von vorne nach hinten von 3 dB verlangte einen »festgeschrauben Kopf« des Hörers, um den Genus der räumlichen Abbildung wirklich ohne schwankende Ebenen erleben zu können.

    Klassik und Pop wurden gleichermaßen bedacht, auch wenn die Pop-Musik sich mehr auf eine Abbildung ähnlich gearteten Materials aus vier Richtungen konzentrierte, während in der Klassik Stereoaufnahmen mit der reinen zusätzlichen Rauminformation die Regel waren.

    Eine vorsichtige Schätzung ist, dass bei der Electrola in den Jahren 1973 bis 1977 ca. 250 Klassikproduktionen in Quadro gemacht wurden. Auf Pseudo-Quadro getrimmt wurde in etwa die Hälfte der oben angegebenen Zahl. Die Zahlen im Bereich »Pop« sind nicht bekannt, hier war die Zahl im Anteil der Billigproduktionen aber erheblich größer. Es gab z. B. eine Platte mit dem Titel »Holidays in Africa« in Quadro, die eigentlich eine reine Stereoproduktion war. Der gegenphasige Anteil war jedoch so hoch, dass eine spezielle Art von räumlicher Wirkung auftauchte. In der Folge wurden daraufhin viele billige Produktionen als Quadro verkauft, obwohl es sich um Stereoaufnahmen handelte.

    Die Gründe für das Scheitern der Quadrophonie sind vielschichtig. Der Hauptgrund liegt wohl darin, dass die codierenden Verfahren im Vergleich zu Raumklang-Schaltungen oder ähnlichem qualitativ zu wenig boten. Für den geringen Gewinn war der Kunde nicht bereit, zwei weitere Lautsprecher in seiner Wohnung zu dulden.

    Es wurde die falsche Programmauswahl getroffen, da wirklich alles in Quadro erscheinen musste, auch wenn es die Trichteraufnahme von Caruso von 1910 war.


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