- 38 -Probst-Effah, Gisela (Hrsg.): Musikalische Volkskultur und elektronische Medien 
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II. Kaisers Geburtstag und patriotische Lieder.
Das Lied als Medium schulischer Sozialisation

Im deutschen Kaiserreich war das Lied nicht nur in Schul- und Kinderliederbüchern, sondern auch »in vielen [Schul-]Fibeln der Zeit zu finden«.14

14   Franz Pöggeler: Politik in Fibeln. In: ders.: Politik im Schulbuch. Bonn 1985 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 231), S. 21–50, hier S. 21.

Der schulische Kontext war das zentrale Exerzierfeld, auf dem mit diesem Lied vaterländische Gesinnung und Fixiertheit auf die politische Leitgestalt eingeübt wurde. Ein Text über den »Geburtstag des Kaisers« aus einer zeitgenössischen Fibel mag diese Praxis etwas illustrieren:

»Da lassen wir die Bücher zu Hause und gehen in Festtagskleidern zur Schule […]. Manche Knaben haben einen Helm auf dem Kopfe und einzelne sogar einen Säbel an der Seite […]. In unserm Klassenzimmer sieht es ganz anders aus als sonst. An den Wänden sind Girlanden und kleine Fähnchen befestigt. Auf dem Pulte steht zwischen schönen Blumen das Bild des Kaisers.« Sodann wird beschrieben, wie der Lehrer vom Kaiser erzählt. Sobald der Lehrer aufgehört hat, stimmen alle Hochrufe an und: »Dann singen wir das Lied: ›Der Kaiser ist ein lieber Mann‹, und hierauf dürfen wir nach Hause gehen.«15


15   R. Dietlein: Rektor R. Dietleins Deutsche Fibel. Ausgabe B III. Leipzig/Berlin 1904, S. 78. Hier zitiert nach: Franz Pöggeler: Politik in Fibeln, S. 22. – Weitere aufschlussreiche Quellen zu den »Kaiser-Geburtstags- und Sedan-Feiern als zentrale Ereignisse im Schulleben« bei Heinz Lemmermann: Kriegserziehung im Kaiserreich. Studien zur politischen Funktion von Schule und Schulmusik 1890–1918. Lilienthal/Bremen 1984, Band 1, S. 190–206.

Wie prägend diese schulische Sozialisation wirkte, lässt sich auch anhand der Memoiren-Literatur ablesen. Ein ehemaliger Rektor berichtet etwa rückblickend, das erste Lied, das er seinerzeit im ersten Schuljahr gelernt habe, sei »Der Kaiser ist ein lieber Mann gewesen«.16

16   Vgl. Richard Nettersheim: Der kleine Vaterlandsverteidiger. In: Stöckchen-Hiebe. Kindheit in Deutschland 1914–1933. 52 Geschichten und Berichte von Zeitzeugen. Hrsg. von Jürgen Kleindienst. Berlin 1998 (Zeitgut 3), S. 29–33.

Einen weiteren exponierten Anlass für die schulische Liedrezeption boten Kaiserbesuche, zu deren öffentlicher Inszenierung auch die Schulkinder herangezogen wurden.17
17   Siehe etwa den Abschnitt »Die Schulkinder vom Echo sehen den Kaiser«, mit einem Bericht aus der Schulchronik über den Besuch des Kaisers 1899 im Bergischen Land. In: Goebel (1988), wie Anm. 10, S. 223–225.


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