- 30 -Probst-Effah, Gisela (Hrsg.): Musikalische Volkskultur und elektronische Medien 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (29)Nächste Seite (31) Letzte Seite (270)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

hinsichtlich ihrer Melodien, von der Bedeutung und Geschichte eines Liedes ganz zu schweigen.

Wer seriöse und aussagekräftige Informationen über traditionelle und populäre Lieder haben will, muss die spezifischen Charakteristika von »Volksliedern« berücksichtigen, nämlich dass sie gerade nicht – wie etwa ein Kunstlied – mit statischen Text- und Melodiefassungen einhergehen, sondern sich durch eine Vielzahl von Textvarianten, Weiterdichtungen und Parodien konstituieren, die oftmals auf ebenso verschiedene Melodien gesungen wurden. Hinzu kommt, dass die Entstehung und Geschichte dieser Lieder häufig von zählebigen Legenden überwuchert sind, die ohne weitere Überprüfung meist beharrlich weitergeschrieben werden. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass sich die Bedeutung eines Liedes nicht nur aus der Interpretation seines Textes ergibt, sondern überlagert wird von rezeptionsgeschichtlichen Zuschreibungen, von Funktionalisierung und Instrumentalisierungen, allgemeiner gesprochen: von den liedgeschichtlichen Kontexten. Es ist freilich kein spezifisches Merkmal des Internets, dass bislang kein umfassendes und wissenschaftlich fundiertes Nachschlagewerk über populäre Lieder und ihre Geschichten existiert. Dies ist vielmehr ein Defizit und Desiderat, das im Grunde seit Jahrzehnten eine Bringschuld der Popularliedforschung darstellt.

Deshalb ist, wer grundlegende Informationen zu einzelnen Liedern sucht, bis heute noch immer weitgehend auf die umfassende Bibliothek und die Archivalien des Deutschen Volksliedarchivs in Freiburg i. Br. angewiesen (http://www.dva.uni-freiburg.de). Dieses Forschungsinstitut wurde 1914 gegründet, um eine repräsentative, wissenschaftliche Edition der Deutschen Volkslieder mit ihren Melodien herauszugeben. Schon damals war die Unzufriedenheit über bestehende Vorarbeiten – namentlich über die wissenschaftliche Unzulänglichkeit der wichtigsten (und bis heute repräsentativen) Liededition des 19. Jahrhunderts1

Ludwig Erk, Franz Magnus Böhme: Deutscher Liederhort. 3 Bde. Leipzig 1893/94.-->

1   Ludwig Erk, Franz Magnus Böhme: Deutscher Liederhort. 3 Bde. Leipzig 1893/94.

– der Ausgangspunkt für eine breit angelegte Editionsarbeit, die sich zunächst auf die Gattung der Volksballade konzentrierte. Diese Balladen-Edition, ein zehnbändiges Herzstück der traditionellen Volksliedforschung, wurde 1996 beendet.2

Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien. Balladen. Hg. vom Deutschen Volksliedarchiv. Berlin u. a. Bd. I (1935) – Bd. X (1996).-->

2   Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien. Balladen. Hg. vom Deutschen Volksliedarchiv. Berlin u. a. Bd. I (1935) – Bd. X (1996).

Um so mehr erweist sich – sozusagen täglich – die Notwendigkeit einer neuen wissenschaftlichen »Volkslied«-Edition, wobei »neu« auch eine konzeptionelle Neuorientierung meint, sowohl was das berücksichtigte Liedrepertoire betrifft als auch hinsichtlich der Editionspraxis. Noch immer fehlt ein verlässliches Nachschlagewerk über Inhalte und Geschichte populärer und traditioneller Lieder im deutschsprachigen Raum. Dieser Mangel ist kein akademisches Abstraktum, sondern beständige Alltagserfahrung: Das breitgestreute Wissensbedürfnis zu Inhalten und Geschichte populärer Lieder lässt sich allein schon aus den zahlreichen Anfragen, welche tagtäglich an das Deutsche Volksliedarchiv (DVA) gerichtet werden, ablesen. Deshalb wurde im DVA in den letzten Jahren die Konzeption einer neuen wissenschaftlichen Lied-Edition entwickelt, die einerseits die bewahrenswerten Standards der Balladen-Edition aufnimmt (etwa die umfassende Quellenrecherche und philologische Exaktheit) und diese andererseits in ein neues und zukunftsfähiges Editionskonzept


Erste Seite (i) Vorherige Seite (29)Nächste Seite (31) Letzte Seite (270)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 30 -Probst-Effah, Gisela (Hrsg.): Musikalische Volkskultur und elektronische Medien