ihre Verbindung mit echter Volkskunst wurde
immer schwächer. Etwas wurde aus den Fingern gesogen ohne Bezug auf
jahrhundertlange Traditionen und dann für echt russisch ausgegeben. Völliger
Mischmasch resultierte aus der Unwissenheit der Leiter: Das Kostüm ist aus
Kursk, getanzt wird aber wie im Norden Russlands (Klimov: Los, tanz mal!
In: Volksschaffen. 6/1997. S. 4).
Das Ensemble von Ihor Moissejev wurde 2002 65 Jahre alt. Seine Aufführungen werden
mit dem russischen Tanz gleichgesetzt: Man kopiert sie, betrachtet sie als Etalon. Wenn
wir jedoch unsere Aufmerksamkeit den künstlerischen Schöpfungen dieses Ensembles in
den letzten Jahren widmen, dann erkennen wir, dass seine Bestrebungen prinzipiell sehr
weit entfernt sind von der Erhaltung, Entwicklung und Wiederbelebung der Grundlagen
der Volkschoreographie. An der Moskauer Gnessin-Musikakademie untersucht zur Zeit
Alexej I. Schilin Fragen der traditionellen regionalen Grundlagen der russischen
Choreographie. Seine Videofilme und »Meister-Klassen« erlangen jedoch keine
Berühmtheit beim breiten Publikum und werden von den Massenmedien nicht
unterstützt.
Subethnische Gruppen in Russland
Ensembles, die die nationale Kunst der autonomen Republiken und verschiedener
subethnischer Gruppen anderer in Russland lebenden Völker vorführten, empfanden
gleichfalls den Druck der Stalinzeit – das äußerte sich einerseits in dem Zwang, auf ihren
Festivals und Wettbewerben sowjetische Massenlieder aufzuführen, die die Heimat und
die kommunistische Partei verherrlichten, und andererseits in der Europäisierung und
Akademisierung der Tanz- und Instrumentalkunst.
Jedoch war Russland im Laufe des gesamten 20. Jahrhunderts auf seine Völker stolz
und zeigte im Ausland gern die Kunst der Nganassaner, Evenken, Mordwinen,
Udmurden, Dagestaner, Kabardino-balkaren u. a. nationaler Gruppen. Präsentiert
wurde hauptsächlich deren tänzerisches Schaffen: Es gibt Rundfunksendungen und
Fernsehfilme, die die Kunst dieser Volksgruppen – größtenteils Völker des Nordens –
widerspiegeln.
Volkstümlich und folkloristisch bedeuten nicht dasselbe!
Der Unterschied zwischen der Musik, die offiziell für öffentliche Veranstaltungen erlaubt
wurde, und der authentischen traditionellen Musik, die seit den dreißiger Jahren auf der
Bühne nicht zugelassen war, drückte sich schon in den Bezeichnungen aus: Die erste
nannte man volkstümlich, die zweite folkloristisch. Dieser Unterschied wurde bestätigt
durch die Eröffnung sogenannter Häuser des Volksschaffens, die Repertoire und
Ausführung bei Bühnenauftritten dörflicher Ensembles bestimmten. Sie wurden
später in Wissenschaftlich-methodische Zentren der Volkskultur umbenannt.
Andererseits wurden seit den achtziger Jahren Folklorezentren eröffnet, mit dem Ziel,
traditionelle Volkskultur zu fixieren, zu erhalten, zu veröffentlichen und zu
propagieren. Als recht fortschrittlich erwies sich die Tätigkeit des Republikanischen
Zentrums der russischen Folklore (Leiter: Anatolij S. Kargin, Moskau), die sich
im Laufe der letzten zwanzig Jahre in den Zeitschriften Lebende
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