- 204 -Probst-Effah, Gisela (Hrsg.): Musikalische Volkskultur und elektronische Medien 
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seit Kriegsbeginn 1939 in wachsendem Maße und in zunehmender Unverhülltheit mit unmissverständlicher Kriegskritik.

Dass einen besonderen Anteil an solchen kritischen Liedern speziell Liedparodien hatten, ist ein weiteres Ergebnis unseres Institutsprojekts, durch das in langjähriger, weitmöglichst systematischer Sammlung, Sichtung und Auswertung jener eingangs erwähnten Quellen mehr als 600 oppositionelle Lieder ermittelt wurden – meist mit ihrem oft höchst aufschlussreichen historischen, politischen, situativen oder biographischen Kontext.

Dass es sich bei jenen Parodien überwiegend um Umdichtungen besonders bekannter und viel gesungener Lieder handelte, verstärkte einerseits die Wirkung und erleichterte andererseits die vom singenden Kritiker ja meist beabsichtigte Weitergabe und Verbreitung. Darüber hinaus hatte dies jedoch oft auch einen Liedtext-bezogen assoziativen Beweggrund; und schließlich bildete Parodierung zugleich einen gewissen Schutz vor Verfolgung: Wurde ein regimekritisch Singender – wie es immer wieder geschah – denunziert, so konnte er, wie diverse Gerichtsakten belegen, immer noch behaupten, der Informant müsse sich verhört haben, denn er selbst kenne diese Parodie überhaupt nicht und habe lediglich das Original gesungen …

Als Vorlage benutzten solche im Rahmen unseres Projekts aufgespürten Parodien teils NS-Partei- und -Nationalgesänge, also die sog. Lieder der Bewegung, teils Soldatenlieder, verbreitete Jugend- oder Volkslieder, auch tradierte und neue Kirchenlieder, nicht zuletzt aber – und eben dies war für die vorliegende Themenwahl ausschlaggebend – eine Gruppe von Liedern, die sich mir als Zeitzeuge allmählich immer eindeutiger als beliebte Medienhits des Dritten Reiches erschlossen. Ich bemerkte nämlich, dass ich viele von ihnen seit meiner Kindheit in der NS-Zeit (bei Kriegsbeginn war ich sieben Jahre, bei Kriegsende also dreizehn Jahre alt) noch im Ohr hatte, und zwar so konkret, dass ich viele von ihnen sogleich singen konnte, obwohl ich aus einem sowohl auf klassische Musik ausgerichteten als auch dem NS-Regime alles andere als gewogenen Elternhaus stamme: ein umso eindeutigeres Zeugnis für die sehr intensive Einwirkung der NS-Medien-Kultur auf die orale Volkskultur jener Zeit.

Die meisten dieser parodierten Vorlagen konnte ich als Schlager und Filmtitel jener Zeit identifizieren, wie sie seit den zwanziger und eben besonders in den dreißiger und vierziger Jahren zuhauf entstanden waren und damals durch massive Einwirkung des Regimes zumal über den staatlich gelenkten Rundfunk verbreitet wurden. Denn spätestens seit 1933 war der Rundfunk vom NS-Regime als »das allermodernste und allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument« – so »Reichspropagandaminister« Goebbels2

Bedürftig, Friedemann: Lexikon Drittes Reich. München 1997. Rundfunk, S. 302f.-->

2   Bedürftig, Friedemann: Lexikon Drittes Reich. München 1997. Rundfunk, S. 302f.

(den – wie zuletzt der Film Der Untergang in Erinnerung rief – Hitler vor seinem Selbstmord ja sinnloserweise sogar noch als Nachfolger und damit als Reichskanzler eingesetzt hatte) – und damit auch als besonders wirksames »Sprachrohr des Führers« erkannt worden.3

Koch, H. J.: Das Wunschkonzert im NS-Rundfunk. Köln, Weimar, Wien 2003. S. 36f.-->

3   Koch, H. J.: Das Wunschkonzert im NS-Rundfunk. Köln, Weimar, Wien 2003. S. 36f.

Und so avancierte das Radio bald zu einem vor allem von Goebbels politisch virtuos genutzten »Mittel zur Vereinheitlichung des deutschen Volkes«.4

Ebd. S. 49.-->

4   Ebd. S. 49.

Es sollte »den Menschen

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