- 99 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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So hat Elsa ihr Leben verwirkt, als Lohengrin sich in seine Gralswelt zurückzieht. Ohne ihn gibt es für sie kein Weiterleben: im Gegensatz zu Lohengrin. Zwar muss er die Wirklichkeit verlassen und in seine Gralswelt zurückkehren. Für ihn bedeutet dies aber nicht die Beendigung seiner Existenz (vgl. Mayer 1975, 87).

Deutlich wird es im Textbuch. In der zweiten Szene des dritten Aufzuges befinden Elsa und Lohengrin sich nach ihrer Hochzeit im ehelichen Gemach. Elsa singt: »Da wollte ich vor deinem Blick zerfließen, gleich einem Bach umwinden deinen Schritt, gleich einer Blume, duftend auf der Wiesen, wollt’ ich entzückt mich beugen deinem Tritt.« (Zentner 1995, 49) In allen von Wagner verwendeten Bildern zeigt sich seine Wunschvorstellung einer idealen Frau. Elsa steht für den idealen Frauentyp. Die oben zitierte Stelle zeigt Elsa unterwürfig. Stets sieht sie sich zu seinen Füßen. In ihrer Rolle als Frau ist sie hier dem Mann keinesfalls gleichberechtigt. Das Frageverbot verstärkt diesen Eindruck. In dem hier gezeichneten Frauenbild entspricht die Idee Wagners ganz den Vorstellungen seiner Zeit, wie eine Frau zu sein habe. Wie Elsa kam auch den damaligen Frauen keine gleichberechtigte Position in der Gesellschaft zu. Sie hatten lediglich dem Wohl des Mannes zu dienen und sich seinen Wünschen unterzuordnen (vgl. Weber-Kellermann 1983).

Die meisten Frauen genossen eine geringere Bildung als die Männer. Sie waren für Haushalt und Kinder zuständig. Auch Elsa kommt nicht das absolute Wissen zu, sie darf nicht wissen, von welcher »Nam und Art« Lohengrin ist (Zentner 1995, 21). Das Bedürfnis nach absolutem Wissen weist dieser mit dem Vorwurf mangelnden Vertrauens von sich. Als Begründung dafür liefert er Elsa sein eigenes Vertrauen in sie: »Höchst Vertrauen hast du mir schon zu danken, da deinem Schwur ich Glauben gern gewährte.« (ebd., 51) Lohengrin gibt hier vor, Elsa lediglich auf ihren Schwur hin verteidigt zu haben. Das vermeintliche Vertrauen ist jedoch keines. Lohengrin wusste ja, dass Elsa Gottfried nicht umgebracht hatte, sondern dieser von Ortrud in einen Schwan verzaubert worden war.

Bei Ulrich Schreiber wird das Frageverbot sogar zum »Instrument der Repression weiblicher Sexualität.« (Csampai, Holland 1989, 32) Lohengrins Frageverbot an Elsa setzt ihr eine dem biblischen Paradies analoge Schranke der Erkenntnis vor. Elsa darf Lohengrin nicht wirklich erkennen, d.h. auch nicht in seiner sexuellen Wirklichkeit. Mit dem Frageverbot verhindert Lohengrin also auch Elsas Individuation zu einem geschlechtsbestimmten Wesen (vgl. ebd., 32– 33). Ebenso kristallisiert sich hier das Bild der Frau heraus, wie es der damalige Mann gern sah: mütterlich, aber gleichzeitig mädchenhaft und unschuldig und damit frei von jeglicher Sexualität (vgl. Weber-Kellermann 1983).


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