entsetzlich wahnsinnige Liebe des Ahnenstolzes, die sich
nur als Haß gegen alles Lebende, wirklich Existierende äußern
kann.« (Strobel/Wolf 1979, 273–274) Weiter schreibt Wagner: »Sie
möchte [...] die Natur ausrotten, nur um ihren vermoderten Göttern
wieder Leben zu schaffen.« (ebd., 274) Spricht er hier von »vermoderten
Göttern«, so könnte er im übertragenen Sinne die bestehenden
Machtverhältnisse seiner Zeit gemeint haben. Die neue Ordnung wendet
sich gegen die bestehende. Deshalb will Ortrud als Vertreterin der alten
Machtverhältnisse die neue Ordnung bekämpfen: »Sie möchte
[...] die Natur ausrotten.« Hier zeigt sich auch, dass Wagner jene
neue Ordnung für eine natürliche hält. Zu diesem Zeitpunkt
glaubt er an den Erfolg der revolutionären Bewegung und an den politischen
Umsturz.
2.4.1
Ein psychoanalytischer Interpretationsansatz
Neben einer biographisch orientierten Interpretation der Figur Ortruds gibt
es in der Wagner-Literatur psychoanalytische Ansätze. Hierbei beziehe
ich mich überwiegend auf die Ausführungen von Peter Dettmering
in Dichtung und Psychoanalyse
. Dettmering sieht in der Konstellation Ortrud–Lohengrin den Kampf zwischen
der mächtigen Weiblichkeit und einer geschwächten Männlichkeit
(vgl. Dettmering 1969, 164–165).
Zunächst geschlagen, nachdem Elsa von Lohengrin gerettet wird, gibt
sich Ortrud jedoch nicht ihrem Schicksal hin, sondern schmiedet neue Pläne
zur Sicherstellung ihrer Macht. Für ihre Zwecke spannt sie erneut Telramund
ein. Er sucht kurzzeitig, sich von Ortruds Einfluss zu lösen. Doch befindet
er sich im Bann ihrer erotisch-faszinierenden Weiblichkeit. Dettmering sieht
diese erotische Anziehungskraft in der Ortrud zugeschriebenen seherischen
Kraft (vgl. ebd., 164). Diese Kraft wird deutlich in einer Regieanweisung.
So spricht Ortrud in der ersten Szene des zweiten Aufzugs: »Die Stund’
ist das, wo dir mein Auge leuchten soll!« In den Regieanweisungen heißt
es: »Während des Folgenden nähert sich Friedrich, wie unheimlich
von ihr angezogen, Ortrud immer mehr und neigt sein Ohr aufmerksam zu ihr
herab.« (Zentner 1995, 29) Kaum ist also Ortruds »leuchtendes
Auge« erwähnt, ist Friedrich in ihrem Bann. In der Psychoanalyse
ist das leuchtende Auge als Erscheinungsform der erotischen Anziehungskraft
des Weiblichen bekannt.4
4
Dettmering verweist in diesem Zusammenhang auf den Artikel
Augenleuchten, Schamgefühl und Exhibitionismus
von Imre Herman, erschienen in der Schweizer
Zeitschrift für Psychologie und ihre Anwendungen
Bd. 16, Heft 1, 1957, 50ff. |
Ortruds Stärke steht nach Dettmering die geschwächte Männlichkeit
Lohengrins gegenüber. Lohengrins Würde ist für ihn nicht aus
sich selbst konstituiert. Seine Männlichkeit gründet in der Berufung
auf den starken Vater Parzifal (vgl. Dettmering 1969, 164). Hinter dieser
Vater-Sohn-Beziehung
|