- 95 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Gutman 1989, 131). Nach ihrer Meinung wäre es für Wagner leicht gewesen, sie in das Werk einzufügen. Wagner weigerte sich jedoch. Dies widerspreche seiner künstlerischen Überzeugung. Von Minna forderte er Verständnis für seine Einstellung. Für ihn stand nicht die finanzielle Absicherung im Vordergrund, sondern seine Kunst. Wenn Lohengrin also das Frageverbot ausspricht, könnte dies für die Forderung Wagners an Minna stehen, sich ganz seiner Kunst unterzuordnen. Empfinde Minna wirklich Liebe für ihn, so habe sie seine Entscheidungen mit allen Konsequenzen mitzutragen und ihn nicht zu kritisieren. Wie er diese Liebe verstanden haben will, erklärt er selbst: Er sucht nicht die »leichtfertige, schamlose und unverbindliche Liebe«, sondern strebt nach dem »Reinen, Keuschen, Jungfräulichen«. Eine Befriedigung des sinnlichen Verlangens wird dabei nicht verneint, ist aber als »edler« zu betrachten. In der Gegenwart Wagners sei die Befriedigung eines solchen Verlangens jedoch nicht zu finden (vgl. Kapp 1914, 123). So schreibt er:

»Auf die ersehnte Höhe des Reinen, Keuschen hatte ich mich durch die Kraft meines Verlangens nun geschwungen: ich fühlte mich außerhalb der modernen Welt in einem klaren heiligen Ätherelemente, das mich in der Verzückung meines Einsamkeitsgefühls mit den wollüstigen Schauern erfüllte, die wir auf der Spitze der hohen Alpen empfinden, wenn wir, vom blauen Luftmeer umgeben, hinab auf die Gebirge und Täler blicken.«  (ebd.)

In seiner Lebenswirklichkeit sah Wagner also keine Hoffnung auf Erfüllung seines Anspruchs an die Liebe; daher das Bedürfnis, sich von dieser Welt abzuwenden und in eine andere, erhöhte Sphäre zu steigen. Auch Lohengrin hat eine erhöhte Position inne. Seine Existenz ist nicht menschlich, sondern göttlich. Seine Herkunft ist die Gralswelt. Doch wie sieht dieser Ort aus? Das von Wagner beschriebene klare, heilige »Ätherelemente«, in dem er sich »wie auf der Spitze der hohen Alpen« fühlte, kommt der Vorstellung von der Gralswelt nahe. Äther ist die Bezeichnung für Himmelsluft. Darüber hinaus ist Äther nach der griechischen Philosophie der Begriff für den Urstoff allen Lebens. Äther ist die Weltseele. Das von Wagner zitierte »Ätherelement« hat also einen göttlichen Habitus. Auch die Gralswelt ist göttlich, ist heilig, denn dort wird der heilige Gral, die Abendmahlschüssel, in der das Blut Christi aufgefangen wurde, aufbewahrt. Lohengrins Herkunftsort gleicht den Höhen des transzendenten Raumes, in dem Wagner sich selbst sah. Dies bekräftigt die besondere Bedeutung, die Wagner seiner Person und seinem künstlerischen Schaffen beimaß. Die Selbsterhöhung Wagners darf indessen nicht als Lösung vom Leben betrachtet werden. Er fordert schließlich den das Leben gestaltenden Künstler (s.o.). Wagner versteht diese Erhöhung vielmehr als Abkehr von den bestehenden Verhältnissen: »Nicht der Wärme des Lebens


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