- 94 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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nichts von dem erhöhten Wesen seiner Existenz weiß, kann die Sehnsucht nach reiner Liebe, nach »Verstandensein durch die Liebe«, gestillt werden.

»Von dieser Höhe gewahrte mein verlangender Blick – das Weib«, schreibt Wagner (ebd.). Er, der sich in einer künstlerischen Ausnahmestellung sieht, sehnt sich also nach einer Frau. Auch Lohengrin sehnt sich nach einer Frau. Diese Frau ist Elsa. Für sie verlässt er die Gralswelt. Zieht man die Parallele zu Wagner, so steht Lohengrin für das Bedürfnis Wagners nach Zuneigung und Liebe. Analysiert man das Frageverbot unter diesem Gesichtspunkt, so erkennt man darin seinen Wunsch, als Mensch geliebt zu werden, nicht als anbetungswürdiger Künstler. Wie Lohengrin nicht wegen seiner göttlichen Existenz verehrt werden möchte, so auch Wagner nicht allein wegen seiner Kunst. Natürlich soll auch seine Kunst und er als Künstler bewundert werden. Doch sollen Künstler und Mensch nicht voneinander zu trennen sein. Dies sei so, als trenne man die Seele vom Leib, schreibt Wagner (58). Doch kann Elsa dem Verbot nicht standhalten. Sie fragt Lohengrin schließlich nach seiner Herkunft. Wagner selbst erklärt, weshalb die Geschichte so und nicht anders enden könne:

»[...] ich litt wirklichen, tiefen [...] Jammer, als ich unabweislich die tragische Notwendigkeit der Trennung, der Vernichtung der beiden Liebenden empfand. Dieses Weib, das sich mit hellem Wissen in ihre Vernichtung stürzt um des notwendigen Wesens der Liebe willen, das, wo es mit schwelgerischer Anbetung empfindet, ganz auch untergehen will, wenn es nicht ganz den Geliebten umfassen kann [...].«  (ebd., 130)

Für Wagner liegt es in der Natur der weiblichen Liebe, dass die Frau, hier Elsa, den Mann in seiner ganzen Wirklichkeit erfassen muss, um in wahrer Liebe zu ihm aufzugehen. Im Extrem interpretiert könnte dies bedeuten, Wagner glaube, Elsa wolle nicht nur die Liebe zur Person Lohengrin, sie wolle auch den göttlichen Gralsritter anbeten. Bliebe man im Kontext eines biographischen Interpretationsversuches, so würde dies heißen, Wagner sehe in der Liebe einer Frau auch immer deren Wunsch, den Mann anzubeten, d.h. sich ihm zu unterwerfen. Hier zeigt sich wohl Wagners eigener Wunsch, bewundert und angebetet zu werden.

Lohengrin möchte – wie Wagner selbst – geliebt werden, wie er ist und weil er so ist. Wie oben beschrieben, könnte das Frageverbot eine Kritik an seinen Kritikern darstellen. Möglich wäre auch eine versteckte Zurechtweisung Wagners an seine Frau Minna. Minna und Richard Wagner führten eine problematische Ehe. Während der Entstehungszeit des Lohengrin kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen. So kritisierte Minna seine Einstellung zur Kunst. Nach ihrer Ansicht sollte Wagner Kompromisse eingehen, um beim Publikum anzukommen. Sie hatte erkannt, dass Tannhäuser einige Effekte fehlten, die Rienzi zum Erfolg geführt hatten (vgl.


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