Felix
lebenslang ein unangenehmes Gefühl. Wie ein Brief vom 7. April 1838
an den Verleger Alfred Novello bezeugt, entwickelte er einen Komplex, der
ihn sämtlichen Wettbewerben ausweichen ließ (vgl. Tillard 1996,
92). Andererseits publizierte Felix in seinem als op. 8 veröffentlichten
Band 1827 zwölf Lieder, von denen die Nummern zwei, drei und zwölf
von seiner Schwester stammten. Bei dem schon erwähnten Fleiß der
Kinder ist es unwahrscheinlich, dass er aus Mangel an eigenen Stücken
aus Fannys Repertoire schöpfte. Da Abrahams Einstellung gegenüber
Frauen bekannt war und er einer Publikation von Fannys Werken nie zugestimmt
hätte, erscheint es denkbar, dass Felix auf diesem Wege seine Schwester
als Komponistin zu ermutigen suchte. Zu diesem Zeitpunkt mag seine konservative
Einstellung gegenüber der Veröffentlichung von Werken der Schwester
noch nicht ausgeprägt gewesen sein. Der Band enthielt Fannys Duett der
Goehtevertonung Suleika und
Hatem, das am 28. April 1825 entstanden war,
Das Heimweh, komponiert am 19. Juli 1824 und
Italien, das auf den 14. August 1825 datiert ist (vgl. Tillard 1996,
193). Das letzte der drei Lieder auf einen Text von Grillparzer hatte größten
Erfolg. Zweimal bekannte Felix die Autorschaft seiner Schwester,4
nachdem er beim Vortrag des Liedes höchstes Lob dafür erhalten
hatte. Wie aus verschiedenen Briefen hervorgeht, hatte er größte
Hochachtung vor ihrem Talent (vgl. Sirota 1981, 27).
Eine öffentliche Kritik würdigte kurz nach der Publikation des Bandes in Unwissenheit ihrer Autorenschaft explizit ein Lied Fannys: »Das letzte Duett, aus Göthes Divan, ›An des lust‘gen Brunnens Rand‹ u.s.w. scheint uns in dieser Sammlung das schönste. Uebrigens kennen wir den Verf. dieser Gesänge aus seinen grösseren Compositionen als einen Mann, auf den wir mit Hoffnungen zu sehen berechtigt zu seyn glauben, deren Erfüllung zuversichtlich nicht fern ist [...].« (ebd.) Drei weitere Lieder Fannys veröffentlichte Felix in seinem op. 9 im Jahr 1830. Es sind die Lieder Sehnsucht (Nr. 7), Verlust (Nr. 10) und Die Nonne (Nr. 12), entstanden im Mai 1822 (ebd., 28). Aus Fannys Briefen an Karl Klingemann (1798–1862; Diplomat), einem der engsten Freunde der Familie, der 1827 aus beruflichen Gründen nach London übersiedelte, geht hervor, dass sie wie Felix Vorlesungen besuchte. Diese geistreiche Korrespondenz verschafft zudem einen Einblick in die Stellung der Frau in einer Gesellschaft, in der Frauen die Universität noch nicht erschlossen war. Fanny berichtet, dass »diese Kurse größtenteils von Damen« besucht wurden und dass das Interesse der Frauen an naturwissenschaftlichen Fächern – angeboten wurde ein Seminar in Experimentalphysik – offensichtlich groß war. Sie äußerte sich beglückt über die Gelegenheit, |