- 86 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Der heftige geschwisterliche Disput, der sich in dieser Zeit zwischen Berlin und Paris entspann, erscheint symptomatisch für ihre Situation. Felix’ Antipathie gegenüber der Pariser Musikwelt, über die er sich höchst kritisch äußerte, löste bei ihr Entrüstung aus, die in einem Brief ihren Niederschlag fand. Darin warf sie ihm vor, die Reise nach Paris mit ihrem kulturellen Geschehen nicht adäquat zu würdigen (vgl. Tillard 1996, 180 f.). Und nicht ohne Ironie formulierte sie im darauf folgenden Brief: »Ich bin nur froh, daß Du endlich einmal mit vernünftiger Begleitung gespielt hast, bis jetzt hab ich Dich doch darbend gewußt mitten im Lande wo Milch u. Honig fließt [...].« (Hensel 1995, 184)

An der Vehemenz, mit der sie ihr Bild von Paris verteidigte, wird ihr Wunsch deutlich, an dieser Reise mit Blick in die Welt teilzunehmen. Für das Sehnen und die Wünsche seiner Schwester bewies Felix jedoch wenig Gespür. Wenig einfühlsam – wie sollte ein Sechzehnjähriger das auch nachvollziehen, er fühlte sich schließlich in seiner Sachkenntnis und seinem Urteilsvermögen nicht ernst genommen – antwortete er auf die Briefe seiner Schwester erbost, gab ihr den Vorwurf der Befangenheit zurück und warf ihr Verblendung vor.

Auch später, als beide eine eigene Familie gegründet hatten, gestaltete sich die Beziehung zwischen ihnen nicht unproblematisch: Fanny, mit einer starken Persönlichkeit ausgerüstet, und Felix, sehr maßgebend in seiner Meinung; Fanny, die ältere Schwester, die die dominante Frauenposition in der Familie besetzte und Felix, der männliche Nachkomme, das Genie. Dies barg ein enormes Energiepotenzial, das zu Konflikten führte. Einen Einblick geben Fannys Tagebuchnotizen. Sie berichten vom ersten Besuch bei dem verheirateten Felix und der Schwägerin Cécile:

»[...] auch Missverständnisse fanden statt, die mir bewiesen, dass es uns in mancher Beziehung schwer werden würde, miteinander zu leben. Wir sind Alle sehr absolut in unsern Meinungen, Felix kann durchaus keinen Widerspruch ertragen, u. so kamen wir ein paar mal hart aneinander. Indessen, wenn uns Gott das Glück schenkte, miteinander zu leben, würde es sich wohl machen. So oft ich aber noch auf kürzere Zeit mit Felix zusammen war, so habe ich immer, neben der Liebe für ihn, u. der Freude an seinen Gaben, eine seltsame Unruhe u. Unbefriedigung empfunden, die daraus entstehen mag, dass man sich so sehr mit ihm in Acht nehmen muss, um ihn nicht zu verletzen, u. dadurch leicht in eine Ängstlichkeit geräth, die man gegen die nächsten Seinigen nicht empfinden sollte.«  (Unveröffentlichtes Tagebuch, Römer, 30f.)

Die Ambivalenz der Geschwisterbeziehung sollte sich auch auf Felix auswirken. Dass zwischen den zwei hochtalentierten Geschwistern eine Konkurrenzsituation entstand, war unvermeidlich. Sie hinterließ bei dem sensiblen


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