- 85 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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sondern auch in seinem Umfeld, wie Devrient in seinem Brief über die Proben bei Zelter berichtet: »[...] Ich hatte auch Felix und Fanny dort getroffen, die beide im Chor Alt mitsangen und die Zelter gelegentlich dies und jenes Stück am Flügel begleiten ließ. Jetzt aber war dieser Platz Felix gänzlich eingeräumt [...].« (Kleßmann 1990, 88)

Die von Fanny und Felix im Jahr 1820 begonnenen Hefte, in denen sie systematisch unter Angabe des Datums und des Ortes ihre Kompositionen schrieben, offenbaren unter anderem die Unterschiede in Persönlichkeit und Temperament und in der Wahl der komponierten Stücke. Von Anfang an schrieb Felix Kantaten, Opern, Streichquartette und Klaviersonaten. Fannys Vorliebe zeigte sich in der Vertonung von Liedern und kleinen Klavierstücken, die sie bescheiden mit »Übungsstück« überschrieb (vgl. Sirota 1981, 18).

Als ältere verantwortungsvolle Schwester – die Rolle, die ihr von den Eltern angetragen war – wurde Fanny ihrem jüngeren Bruder gegenüber nun gar zur fürsorgenden Mutter und Lehrerin: »Du fehlst mir spät u. früh, lieber Sohn! [...] Wie ist deine jetzige Minerva, Prof. Mentor [gemeint ist Zelter, d.V.], mit Dir zufrieden? Ich hoffe (um recht hofmeisterlich zu werden) daß Du Dich recht vernünftig aufführst, u. der Erziehung Deiner Hausmeisterin Ehre machst.« (Weissweiler (Hg.) 1997, 17) Oder: »Es war mein Vorsatz gewesen, Dir, mein lieber Sohn, heute recht lang u. ausführlich zu schreiben [...].« (ebd., 18) Auch wenn ihr keine Alternative blieb als die der selbstvergessenen Liebe und der Identifikation mit ihrem Bruder, so genoss sie ihren Einfluss auf ihn und fühlte sich berufen, sein Talent zu führen und zu unterstützen.

Im gleichen Jahr legte Fanny ein Verzeichnis seiner Werke an. Es belegt das Arbeitspensum des jugendlichen Musikers, zumal eine Reise in die Schweiz mehrere Monate in Anspruch nahm (vgl. Hensel 1995, 169). In manchen Briefen an seine energische ältere Schwester redete er sie als »Cantor« an, eine Anspielung an J.S. Bach, oder als »Talleyrand« mit Rückgriff auf den bedeutenden französischen Staatsmann und die bestimmende Figur des Wiener Kongresses (vgl. Weissweiler (Hg.) 1997, 239, 294).

Im Frühjahr 1825 nahm Abraham seinen sechzehnjährigen Sohn Felix mit nach Paris. Reisen gehörten unverzichtbar zur Ausbildung seines Sohnes. Auf Reisen traf man Kollegen und Lehrer, man knüpfte Bekanntschaften, trat in Gedankenaustausch ein, hatte Gelegenheit aufzutreten und sich mit anderen zu messen. Obendrein gab es in jeder neuen Stadt unbekanntes Notenmaterial, das es zu studieren galt. In jeder Beziehung sollte Felix’ Horizont erweitert und dessen musikalischer Geschmack verfeinert und bereichert werden. Fanny blieb mit dem, was sie gelernt hatte, in Berlin und nahm an den Reisen insofern teil, als sie die Briefe des Bruders verschlang.


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