- 84 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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eben ›nur‹ ein Mädchen war. Im Herbst 1821 sollte Felix durch seinen Lehrer Zelter dessen Freund und den allseits verehrten Dichter Goethe kennen lernen. Die Vehemenz, mit der Fanny ihren Bruder ermahnt, sich doch jedes Wortes aus seinem Munde zu erinnern und ihr alles mitzuteilen, macht ihren Wunsch deutlich, an diesem Ereignis teilnehmen zu können. Sie schreibt:

»Wenn Du zu Goethe kommst sperre Augen und Ohren auf, ich rathe es Dir; und kannst Du bei Deiner Rückkehr nicht jedes Wort aus seinem Munde erzählen, so sind wir Freunde gewesen [...] Besser wir entbehren Dich etwas länger und Du sammelst Dir in der Zeit die schönsten Erinnerungen für das künftige Leben.«  (Weisseiler (Hg.) 1997, 17f.)

Sirota, die eine der beachtlichsten Arbeiten in der Fanny-Hensel-Forschung verfaßte, kommentiert: »It seems probable, however, that she was also envious of Felix, and very much aware of this first real split in their common experience.« (Sirota 1981, 12) Felix verstand dies intuitiv und beschrieb, wie gewünscht, alle seine Eindrücke und das gesamte Geschehen in vielen und langen Briefen.

Frühe Darstellungen über Fannys Klavierspiel beleuchten die Geschwister im Vergleich. So berichtet Eduard Devrient 1822:2

2 1801–1877, dt. Schauspieler, Theaterleiter u. Freund der Familie.
»Sein Clavierspiel fand ich von erstaunlicher Fertigkeit und musikalischer Sicherheit, aber es stand dem seiner älteren Schwester Fanny jetzt noch nach.« (zit. nach Sirota 1981, 15) Ferdinand Hiller3,
3 1811–1885, Pianist, Komponist und Freund der Geschwister.
der die Mendelssohns in Frankfurt 1822 zum ersten Mal auf einer musikalischen Matinee hörte, schilderte seinen Eindruck folgendermaßen:»Vielmehr als Felixens Vortrag eines seiner Quartette (ich glaube, es war das in c-moll) imponirte mir die Leistung seiner Schwester Fanny, welche das bekannte Rondeau brillant in A-dur von Hummel mit wahrer Virtuosität spielte.« (ebd.) Aufschlussreich ist die Schilderung Fannys über das gleiche Konzert. Sie sah die Situation vollkommen anders:

»[...] Dann musste ich etwas spielen – und nun heiss mich nicht reden, heiss mich schweigen. Das ganze Zimmer voll wildfremder Menschen, Schüler und Freunde von Schmitt, die Begleitung sehr schlecht, ich zitternd an jeder Fiber, warf so komplett um, dass ich vor Aerger mich und die Andern hätte prügeln mögen [...].« (Hensel 1995, 158)

Felix scheint die pianistischen Fähigkeiten seiner Schwester als gleichwertig, zu dieser Zeit sogar höher, eingeschätzt zu haben. Nach einem Vortrag am Klavier soll er bei einflussreichen Freunden in England geäußert haben: »But you should hear my sister Fanny.« (zit. nach Sirota 1981, 16) Dessen ungeachtet stand in erster Linie Felix im Blickfeld – nicht nur der Familie,


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