- 82 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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und Reife entsprochen haben, die ihrem Alter weit voraus war. Der gleichen Überzeugung war ihre Tante Henriette, eine Schwester Abrahams:

»Warum ich mit Fanny nicht nach Dresden komme? Ich könnte recht altklug thun u. Dir sagen Du bist zu jung um Dir es zu sagen, aber das ist nicht der Fall denn Du bist zwar noch ziemlich jung aber wie ich aus Deinen Briefen an Deinen Vater sehe, so verständig, gut u. herzlich daß ich Dir gern alles sagte wenn ich – etwas zu sagen hätte.« (Lambour 1986, 67)

In ihrer Korrespondenz nahmen Henriette Mendelssohn und Jacob Bartholdy, mit dem sich der Briefwechsel nach jener geschilderten Episode entspann, die heranwachsende Fanny als ernsthafte und ernst zu nehmende Persönlichkeit wahr. Fannys Briefe zeugen wirklich von einer ungewöhnlichen Reife. So übertrug Henriette Fanny die Verantwortung für die Pflege der Mutter: »Wie befindet sich Deine liebe Mutter, Du pflegst sie doch gewiß recht liebe Fanny u. erleichterst ihr alle Geschäfte die ihr beschwerlich werden könnten!« (Lambour 1986, 58–61; Brief vom 3. März 1821) Anlass dazu war die Schwangerschaft der vierundvierzigjährigen Lea, die offensichtlich nicht unproblematisch verlief und letztendlich auch kein gutes Ende nahm. Im Juli 1822 verlor sie bei der Geburt ihr fünftes Kind.

Wie eine Erwachsene wahrgenommen zu werden, mag für die Fünfzehnjährige Anerkennung bedeutet haben, doch stellt sich die Frage, ob diese Forderung nicht Überforderung bedeutete. Vor diesem Hintergrund erscheint es verständlich, dass Fanny bald darauf eine Reise in die Schweiz nicht in vollen Zügen genießen konnte. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte dabei die anspruchsvolle Erziehung der Mendelssohns. Ausschließlicher Genuss um des Genusses willen wurde nicht gebilligt! Die Reise hatte einen pädagogischen Zweck. Genuss und Freude sollten sich zumindest rechtfertigten. So vertraute sich Fanny, im Zwiespalt zwischen Genuss und Zweckerfüllung, der Tante in Paris an. Diese nahm in einem Familienbrief umgehend dazu Stellung:

»Du, meine liebste Fanny [...] sei doch nur recht froh und glücklich, und gelingt es dir nicht, eigentlich lustig zu sein, so tröste Dich mit Goethes Ausspruch: ›Auch das Leben bedarf dunkler Blätter im Kranz.‹ Genieße recht froh und unbefangen, ohne Dich zu sehr zu quälen, ob Du es auch gehörig benutzest. Bei einem so trefflich vorbereiteten Sinn wie der Deine kommt das eigentliche Resultat einer Reise später, wie die Wirkung einer Badekur.«  (Hensel 1995, 167)

Glücklich sein und unbeschwert genießen konnte Fanny erst viel später. Ihre Briefe von der großen Italienreise an die Familie zeugen von Ausflügen mit


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