- 81 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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In höchstem Grade fühlte sich Fanny verantwortlich für das Wohlergehen ihrer Mutter und ihres Bruders. Durch ein Gespräch löste sie ihn aus seiner depressiven Verstimmung. Ihre Tagebuchaufzeichnungen belegen, dass sie auch ihre Schwester Rebecka, die häufig an diversen Krankheiten litt, unterstützte und es als ihre Pflicht ansah, sie bei ihren Kuren zu begleiten: »In einem der letzten Krankeitsanfälle von Rebecka, hatte ich ihr versprochen, wenn Niemand anders sie ins Seebad begleiten könne, der ihr angenehm sey, mit ihr dorthin zu gehen [...].« (ebd., 41) Auffallend in ihren Notizen ist das völlige Zurücktreten ihrer eigenen Person; es findet sich kein Wort über ihre persönlichen Empfindungen.

5 Fannys Charakterzüge

»Abraham [...] ist hier und hat himmlische Kinder, besonders die drei jüngsten. Fanny, die einzige, wie mich dünkt, die Du kennst, ist die wenigst hübsche und für diesen Augenblick etwas stark altklug, kann aber, wenn sie in ihr Wesen hineinwächst, recht liebenswürdig werden, denn sie hat sehr viel Verstand [...].« (zit. nach Tillard 1996, 73)

So beschrieb Rebekka Meyer (Tochter von Abrahams ältester Schwester Recha) im März 1818 ihre dreizehnjährige Kusine Fanny, für die sie, wie es scheint, nicht viel übrig hatte. Nicht hübsch, altklug, schroff aber intelligent, das sind die Attribute, die ihr zugeschrieben werden. Ernsthaftigkeit ihres Wesens und Klarheit in der Aussage sind für ihre Kusine offensichtlich keine positiven Eigenschaften. Fanny war sehr direkt in ihrem Ausdruck und ihrem Urteil, »schroff«, um Clara Schumanns spätere Äußerung zu zitieren (vgl. Tillard 1996, 74). Schroffheit aber stand den Damen der gesitteten bürgerlichen Gesellschaft nicht an. Doch war sie überaus aktiv, voller Schwung, Energie und Ideen, ein unverkennbares Zeichen ihrer Lebensfreude. Und sie war nicht der Mendelssohnschen »üblen Laune« verfallen, die Felix manchmal befiel und vor der sie sich fürchtete – wie aus ihren Tagebuchaufzeichnungen hervorgeht (vgl. Lambour 1986, 67). Im Gegensatz zu ihrer Schwester Rebecka, ein fröhlicher Charakter und oft der ›Clown‹ der Familie, hatte Fanny ein ernstes Wesen. Sie ertrug es schon als Kind nicht, wenn in ihrer Umgebung Disharmonie herrschte. So beschreibt Sebastian Hensel eine Episode, in der die zwölfjährige Fanny die Großmutter Salomon bittet, dem Onkel Bartholdy seine Konversion zum Protestantismus zu verzeihen. Als Älteste spürt sie die Ängste der Eltern bezüglich des Religionswechsels. Sie muß sie, um diese Bitte aussprechen zu können, wohl auch verstanden haben (vgl. Hensel 1995, 115). So mag Fannys »Altklugheit« einer Entwicklung


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