- 80 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Trägerin und Vermittlerin von Kultur und Bildung im häuslichen Rahmen ein nicht unbedeutender Machtbereich zugestanden wurde. Dieser Rahmen bot den Itzig-Frauen die Möglichkeit, ihn in emanzipatorischer Hinsicht – durch Führen eines Salons oder Konzerttätigkeit – zu sprengen. Die historische (Rück-) Entwicklung, die die Frau auf ihre traditionelle Rolle verwies und der sich Lea und zunächst auch ihre Tochter Fanny beugten, sollten ein Dilemma für Fanny werden. Im häuslichen Rahmen jedoch war Lea eine Zentralfigur. Abraham unterstützte diese Position, was wohl auch bei ihm eine unbewusste Anleihe an seine jüdische Erziehung war. Im Konfirmationsbrief an seine Tochter Fanny verstieg er sich in eine religiöse Überhöhung der Frauen- und Mutterrolle:

»Die (christliche Religion) konnte ich Dich nicht lehren und es kann sie Niemand erlernen, es hat sie ein Jeder, der sie nicht absichtlich und wissentlich verläugnet; und dass Du das nicht würdest, dafür bürgte mir das Beispiel Deiner Mutter, dieser edelsten, würdigsten Mutter, deren ganzes Leben Pflichterfüllung, Liebe, Wohlthun ist, dieser Religion in Menschengestalt. [...] Deine Mutter war und ist, und mein Herz sagt mir, sie wird noch lange bleiben Deine und Deiner Geschwister und unser Aller Vorsehung und Leitstern auf unserem Lebenspfade. Wenn Du sie betrachtest, wenn Du das unermessliche Gute, das sie Dir, solange du lebst, mit steter Aufopferung und Hingebung erwiesen, erwägst und dann in Dankbarkeit, Liebe und Ehrfurcht Dir das Herz auf - und die Augen übergehen, so fühlst Du Gott und bist fromm.«  (Hensel 1995, 120ff.)

Diese Zeilen haben Fanny ohne Frage auf Dauer geprägt: Die Mutter als Vorbild und Inbegriff aller Menschlichkeit, die sich in »Pflichterfüllung«, also Selbstaufgabe und »Wohlthun«, also Aufopferung, für ihre Kinder »hingibt«. Fanny hatte die Pflicht, diesem Vorbild zu folgen und weiblich untadelig zu werden. Ihr als der Ältesten wurde diese Rolle schon in der Kindheit angetragen. Sie übernahm sie willig. In ihr drückte sich die Verantwortung für ihre Geschwister, besonders für Felix, aus. Als die Mutter diese Funktion aus Altersgründen nicht mehr ausfüllen konnte, nahm Fanny ihren Platz ein und wurde zum Anlaufpunkt und Zentrum der gesamten Familie. Wie aus ihrem unveröffentlichten Tagebuch hervorgeht, war sie in familiären Notsituationen diejenige, die Probleme organisatorisch und praktisch löste und emotionalen Beistand leistete. In ihrem Tagebuch hielt sie die Reaktion der Mutter und insbesondere Felix’ auf den Tod des Vaters fest. Er reagierte auf die Todesnachricht zutiefst erschüttert und verbrachte die Beerdigung sowie die anschließenden Tage in erschreckender Apathie (vgl. Unveröffentlichtes Tagebuch, Abschrift Römer, 12).


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