- 77 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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3 Familiärer Hintergrund: Der Vater

Fanny Cäcilie Mendelssohn wurde am 14. November 1805 als älteste Tochter des jüdischen Bankiers Abraham Mendelssohn (1776–1835; zweitjüngster Sohn Moses Mendelssohns) und Lea Salomon Mendelssohn (1777–1842) in Hamburg geboren. Bald nach der Geburt zweier weiterer Kinder, Felix am 3. Februar 1809 und Rebekka am 11. April 1811, war die Familie gezwungen, Hamburg aus geschäftlichen und politischen Gründen zu verlassen. Neue Heimat und Familiensitz wurde Berlin, wo das Bankhaus Mendelssohn einen erneuten Aufschwung erlebte (vgl. Werner 1989, 30). In Berlin wurde der jüngste Sohn Paul am 30. Oktober 1813 geboren.

»Die Erziehungsweise Abrahams war streng, es herrschte noch etwas jüdischer Despotismus darin« (Hensel 1995, 114) – so berichtet Fanny Hensels Sohn Sebastian wohl noch aus eigener Erinnerung. Diesen Satz könnte man ohne weiteres als Überschrift über die Erziehung der Geschwister Mendelssohn setzen. Abrahams Ansprüche waren hoch und gipfelten in einem Brief an Fanny, dessen Gebot ohne Zweifel auch für die Geschwister galt: »Jetzt aber sei [...] wahr, treu, gut, Deiner Mutter, und ich darf wohl auch fordern Deinem Vater bis in den Tod gehorsam und ergeben [...] [zu sein].« (Hensel 1995, 122; Hervorhebung d. Verf.)

Dieses Ansinnen erinnert an eines der zehn Gebote: »Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren, auf daß du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, gibt.« (2. Mose 20, 12) Abraham kannte dieses Gebot aus seiner jüdischen Erziehung, doch geht seine Forderung über die mosaische hinaus und bedeutet zudem eine Verschärfung derselben. Man gewinnt den Eindruck, er selber erhebe sich zu einem ›Gott‹, dem mit ›Gehorsam bis in den Tod‹ zu dienen sei. Demzufolge befleißigten sich die Kinder bis ins Erwachsenenalter hinein, die Familienharmonie aufrecht zu erhalten. Felix’ Brief aus Rom vom 22. November 1830 an die Geschwister liest sich wie eine Anleitung zur ›Harmonisierung‹ des absoluten und despotischen Vaters:

»Ich habe in meinem Leben Vater nicht so verstimmt schreiben gesehen, wie seit ich hier in Rom bin, und da wollte ich Euch denn fragen, ob Ihr nicht vielleicht durch einige Hausmittel ein wenig lindern könnt? Ich meine, so etwa durch Schonen und Nachgeben und dadurch, daß Ihr von den Sachen die Seite, die der Vater gern hat, mehr vorkehrt als andere – vieles, was ihn ärgert, ganz verschweigt und statt schändlich sagt unangenehm, oder statt prächtig erträglich. Es hilft zuweilen unglaublich viel, und ich will also leise anfragen, ob nicht auch vielleicht in diesem Falle? [...] Vielleicht habt Ihr ein bißchen vergessen, daß Ihr hier und da schonen und nicht antippen müßt [...] und daß es an uns allen ist, ihm auch einmal nachzugeben, sei das Recht auch noch so sehr auf unserer Seite [...]. So lobt denn ein wenig, was er gern hat,


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