- 75 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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des orthodoxen Judentums im Laufe der Jahrhunderte zu stärken und die ursprünglich hohe Achtung der Frau, ihre Selbstachtung eingeschlossen, abzuwerten (vgl. Heuberger 1994, 9).

Im Judentum spielte die Familie eine zentrale Rolle. Während das Leben des Mannes sich im religiösen Bereich zentrierte, sollte die Frau vorwiegend in der Familie wirken. Das schloss jegliche öffentliche Aktivität außerhalb dieses Bereiches für sie aus. Heim, Kinder und Familie wurden ihr Refugium und schließlich zu einem Synonym ihrer selbst. In den Sprüchen Salomos (31, 10–31) findet sich eine Lobeshymne auf die »tüchtige Frau«. Beschrieben werden darin ihre Aufgaben, die sich auf alle Bereiche des Haushaltes und der Familie erstrecken und die sie mit Leichtigkeit, Übersicht und steter Freundlichkeit meistert. Ihrem Mann erweist sie stets Gutes und er »kann sich auf sie verlassen;« sie speist die Armen und unterweist die Kinder und die Hausangestellten mit »freundlicher« und »einsichtsvoller Rede. [...] Laßt sie den Lohn ihres Schaffens genießen, und was sie geleistet hat, möge ihren Ruhm in den Toren verkünden!« (Sprüche Salomos 31, 31) Es wird deutlich, dass den Frauen hier höchste Anerkennung und größtes Lob ausgesprochen wird (vgl. Heuberger 1994, 7).

Traditionsgemäß gehört diese Passage zu den Gebeten, die von orthodoxen jüdischen Männern am Freitagabend gesungen werden, um den Schabbat einzuleiten. Sie ist damit integraler Bestandteil der jüdischen Religionspraxis. Man könnte meinen, dass durch das allwöchentliche Ritual die Stellung der Frau im Laufe der Jahrhunderte an Wertschätzung und Anerkennung hätte gewinnen müssen. Doch bereits die Sprüche verdeutlichen beispielhaft das Dilemma der Frau innerhalb des Judentums. Problematisch ist nicht nur, dass in der traditionellen Textauslegung diese Sprüche als Allegorie auf die Thora, die Lehre, und nicht als simples Lob »auf die tüchtige Frau« verstanden werden, sondern auch, dass die Frau ausschließlich in ihrer traditionellen Rolle dargestellt wird. »Ihr Wert und Stellenwert [wird] somit nicht als solcher anerkannt [...], sondern [hängt] von ihrer Pflichterfüllung ab [...].« (Heuberger 1994, 8) An dieser Stelle werden die Wurzeln der Auffassung Fanny Hensels hinsichtlich der Verantwortung für die Familie und der Stellenwert der Pflichterfüllung deutlich.

Dennoch bot die Familie den im Exil lebenden Juden inmitten fremder Kulturen und verschiedenartiger Religionen den nötigen Halt und die Sicherheit, um in der Fremde zu überleben. In diesem Zusammenhang gewann die Frau als Trägerin und Vermittlerin von Kultur und religiöser und ethnischer Identität an Bedeutung, was ihre Stellung in der Familie stärkte. Unter anderem trug sie die Verantwortung für den Kaschrut (rituelle Speisegesetzgebung), der einen wichtigen Grundpfeiler im orthodoxen Judentum darstellte. Dies bedeutete die Einhaltung zahlreicher Regeln bei der Zubereitung


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