Der Komponist sucht seine musikalischen Vorstellungen schriftlich zu fixieren,
um sich dem Interpreten mitzuteilen. Der Kompositionsvorgang findet im klanglichen
Vorstellungsbereich statt, er wird während und nach der Notation fortgesetzt,
wie die Verwendung einer kompositorischen Idee, der
Arietta non grata, und das Taxieren beim »professionellen«
Musikhören am Beispiel der Berceuse gleichermaßen
deutlich machen.16
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Witold Szalonek hat sich in einem Interview zu seinem Komponieren
geäußert, siehe: Rudolf Weber: Interview mit Witold Szalonek,
in: Zeitschrift für Musikpädagogik, H.1, 1976. |
Der Komponist hofft darauf, daß die Notation seiner jeweiligen Musik-Vorstellung
gleichkommt, muß jedoch immer wieder bei Aufführungen feststellen,
wie weit Interpretationen von seiner Vorstellung abweichen können.
Der Interpret seinerseits sucht nun das Gleichnis der Spielanweisungen
zu entziffern, indem er seine musikalische Erfahrung mobilisiert und nach
und nach das neue Werk sowie die Erkenntnisse, die er aus seinen eigenen Klangempfindungen
gewinnt, zur Erfahrungserweiterung werden läßt. Es handelt sich
um einen Prozeß, der andauert, solange das jeweilige Musikstück
von ihm musiziert und also auch interpretiert wird; der temporäre Charakter
des Musizierens und dabei erfahrener Stimmungen bedingen einander und lassen
Stimmungswandel und Interpretationsvarianten zu.
Die Hörer, in denen die Musik erklingt und gleichzeitig Stimmungen
evoziert, nutzen, eingebunden in verschiedene Kommunikationssituationen,
ihre sprachlichen Fähigkeiten, um in Gleichnissen über ihre Wahrnehmungen
zu berichten. Die auditive Analyse der Musik, auf der jeder Wahrnehmungsvorgang
von Musik basiert, und die dabei gefundenen Urteile über die musikalischen
bzw. emotionalen Eindrücke bedingen die Suche nach einer gleichnishaften
Sprache, also einer Sprache, die den Höreindruck und die kommunikative
Intention in Übereinstimmung bringen kann.
Ein Musikkritiker wird dabei andere Absichten verfolgen als ein philologisch
interessierter Musikhistoriker. Während ersterer von eigenen Voreinstellungen
zum Musikwerk ausgehend die Interpretation in einem Konzert oder auf einer
Aufnahme beurteilt und für den dabei erfahrenen Vergleich von Stimmungen
in technischen Fähigkeiten der Interpreten, in ihrem gestalterischen
Ausdruck oder in anderen beobachtbaren Ereignissen seine sprachlichen Mittel
findet, fokussiert der Historiker seine Wahrnehmung auf die schriftliche
Spielanweisung, die der Komponist als Gleichnis seiner Musik niedergeschrieben
hat. Die Adressaten des Kritikers sind einerseits im Publikum des Publikationsorganes
vorhanden, andererseits in den betroffenen Interpreten der Musik, indirekt
aber auch in Personen, die seinen Status als Kritiker bestimmen. Durch einen
so weit gefaßten Adressatenkreis muß die sprachliche Gleichung
neben Aussagen zur musikalischen Empfindung
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