- 71 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Der Komponist sucht seine musikalischen Vorstellungen schriftlich zu fixieren, um sich dem Interpreten mitzuteilen. Der Kompositionsvorgang findet im klanglichen Vorstellungsbereich statt, er wird während und nach der Notation fortgesetzt, wie die Verwendung einer kompositorischen Idee, der Arietta non grata, und das Taxieren beim »professionellen« Musikhören am Beispiel der Berceuse gleichermaßen deutlich machen.16

16 Witold Szalonek hat sich in einem Interview zu seinem Komponieren geäußert, siehe: Rudolf Weber: Interview mit Witold Szalonek, in: Zeitschrift für Musikpädagogik, H.1, 1976.
Der Komponist hofft darauf, daß die Notation seiner jeweiligen Musik-Vorstellung gleichkommt, muß jedoch immer wieder bei Aufführungen feststellen, wie weit Interpretationen von seiner Vorstellung abweichen können.

Der Interpret seinerseits sucht nun das Gleichnis der Spielanweisungen zu entziffern, indem er seine musikalische Erfahrung mobilisiert und nach und nach das neue Werk sowie die Erkenntnisse, die er aus seinen eigenen Klangempfindungen gewinnt, zur Erfahrungserweiterung werden läßt. Es handelt sich um einen Prozeß, der andauert, solange das jeweilige Musikstück von ihm musiziert und also auch interpretiert wird; der temporäre Charakter des Musizierens und dabei erfahrener Stimmungen bedingen einander und lassen Stimmungswandel und Interpretationsvarianten zu.

Die Hörer, in denen die Musik erklingt und gleichzeitig Stimmungen evoziert, nutzen, eingebunden in verschiedene Kommunikationssituationen, ihre sprachlichen Fähigkeiten, um in Gleichnissen über ihre Wahrnehmungen zu berichten. Die auditive Analyse der Musik, auf der jeder Wahrnehmungsvorgang von Musik basiert, und die dabei gefundenen Urteile über die musikalischen bzw. emotionalen Eindrücke bedingen die Suche nach einer gleichnishaften Sprache, also einer Sprache, die den Höreindruck und die kommunikative Intention in Übereinstimmung bringen kann.

Ein Musikkritiker wird dabei andere Absichten verfolgen als ein philologisch interessierter Musikhistoriker. Während ersterer von eigenen Voreinstellungen zum Musikwerk ausgehend die Interpretation in einem Konzert oder auf einer Aufnahme beurteilt und für den dabei erfahrenen Vergleich von Stimmungen in technischen Fähigkeiten der Interpreten, in ihrem gestalterischen Ausdruck oder in anderen beobachtbaren Ereignissen seine sprachlichen Mittel findet, fokussiert der Historiker seine Wahrnehmung auf die schriftliche Spielanweisung, die der Komponist als Gleichnis seiner Musik niedergeschrieben hat. Die Adressaten des Kritikers sind einerseits im Publikum des Publikationsorganes vorhanden, andererseits in den betroffenen Interpreten der Musik, indirekt aber auch in Personen, die seinen Status als Kritiker bestimmen. Durch einen so weit gefaßten Adressatenkreis muß die sprachliche Gleichung neben Aussagen zur musikalischen Empfindung


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