- 70 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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ihrer Einsicht entsprechend, daß sich viele Vorstellungen zu der Musik entwickeln ließen. In der ersten Hörergruppe dagegen kamen Zweifel auf, ob der Titel mit dem eigenen Verständnis eines Wiegenliedes übereinstimmt und akzeptabel ist, hierzu wurden vermeintliche kompositorische Regeln angeführt, etwa ein wiegendes Metrum als generell erforderlicher musikalischer Charakter von Wiegenliedern. Letztlich jedoch wurden vorangegangene Erwägungen geprüft, ob sie der Absicht des Komponisten genügen können, um das eigene Erlebnis mit der Absicht des Komponisten in Übereinstimmung zu bringen.

Die Konsenssuche entspricht der Rolle des Musikhörers, wobei vom Autor der musikalischen Idee gerne Hinweise in Anspruch genommen und erwartet werden, da gesellschaftlich verpflichtende Funktionsbestimmungen von Musik wie in früherer Zeit, die auch damals eine Festlegung kompositorischer Regeln bewirkten, in der heutigen säkularisierten und demokratisierten Gesellschaft nicht mehr gelten.

Anders als in der Kindergruppe lag der ersten Hörergruppe daran, trotz aller Suche nach Übereinstimmung die subjektiven Empfindungen sprachlich zu artikulieren. Um die persönlich empfundene unbestimmte Gefühlslage, die mit dem oben beschriebenen zentralnervösen Geschehen jeweils entstanden ist, zu verdeutlichen, wurden weitgehend Adjektive gebraucht, die manchmal ungewöhnliche Vorstellungen einbeziehen – »Es klang mir wie eine verbeulte Variante« einer durchaus bekannten, jedoch schwer zu klassifizierenden Musik – und die in der Rede nicht nur klanglich dem Inhalt entsprechend eingefärbt wurden, sondern auch in Mimik und Gestik, also in der »Körpersprache« mitvollzogen und verstärkt wurden. Das Bewußtsein, ein eigenständiges musikalisches Erleben erfahren zu haben, konnten die Mitwirkenden dieser Hörergruppe differenzierter äußern als die Kinder, denen zwar ihre Rückgriffe auf naheliegende Geschehnisse und deren Austauschbarkeit deutlich war, die gleichwohl ihre Betroffenheit durch die Musik lediglich in diesen Geschichten gleichnishaft zum Ausdruck bringen konnten.15

15 Inwieweit hierbei entwicklungsbedingte Implikationen und solche der Sozialisation einwirken, soll nicht weiter verfolgt werden. Beobachtungen von Kindern legen nahe, daß mit Fähigkeiten zur Reflexion, also dem selbstbezogenen Denken, auch Qualitäten der Selbstwahrnehmung und ihrer sprachlichen Darstellung korrespondieren.

7 Gleichnisse zur Musik

Die hier beschriebenen drei Arten musikalischer Existenz werden durch Äußerungen in Gleichnissen verdeutlicht und durch sie zu reflektierbaren Bestandteilen menschlicher Kommunikation.


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