- 69 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
  Erste Seite (2) Vorherige Seite (68)Nächste Seite (70) Letzte Seite (422)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

den dort erfahrenen »archetypischen Klang« von Glockentönen,14

14 Albrecht Dümling: Die ganze Welt voll Klang. Witold Szalonek – Komponist, in: Der Tagesspiegel, 2.3.1997.
der denen seiner polnischen Heimat gleicht, und damit auf eine den Glockentönen ähnliche Klanglichkeit, die in vielen Werken Chopins von Witold Szalonek entdeckt wurde. Mit ähnlicher Absicht zieht er weitere Werke von sich heran, um im Vergleich mit ihnen das kompositorische Verfahren zu erörtern.

Während der Komponist jegliche Verbalisierung seines emotionalen Anliegens, das in den Klängen der Komposition gegeben ist, zu vermeiden scheint, ist es dem Interpreten ein Bedürfnis, seine Interpretation der Komposition auch emotional begründet mit der sukzessiven Darstellung des Interpretationsvorganges zu verbinden. Es bildet sich deutlich das Rollenverständnis ab, demzufolge der Komponist den Versuch unternimmt, in die Schriftform seines Werkes alle erforderlichen Angaben einzuarbeiten, seine Musikidee also schriftlich zu fixieren, wogegen der Interpret bemüht ist, anhand dieser Notation eine Abfolge von Stimmungen zu konzipieren und sprachlich zum Ausdruck zu bringen, um der temporären Bedingtheit seiner eigenen Stimmungen bei der Ausübung der pianistischen Tätigkeit, Wiederholbarkeit und Solidität zu geben.

Die Hörerin vergleicht einerseits, den anfänglichen Erläuterungen des Interpreten vergleichbar, die Musik mit einem Dialog und sieht darin die dominierende Struktur, sie greift andererseits auf eine Vorstellung von Tanzpartnern im »Pas de deux« zurück und knüpft damit an eigene Erfahrungen leiblicher Gefühle, von Bewegung, Spannung und Entspannung an. Mit diesem Gleichnis verbindet sich eine relativ eindeutige Sprache, die, wenn dem Gleichnis gefolgt wird, einen sprachlichen Konsens über in diesem Rahmen erfahrene Stimmungen herstellen läßt. Sobald der Hörerin der Titel Berceuse bekannt wurde und mit ihm die offensichtliche Intention des Komponisten, eine bestimmte Klang- und Erlebniswelt hörbar werden zu lassen, waren in ihren sprachlichen Äußerungen Unsicherheiten zu bemerken. Sie suchte nun dem Anspruch, den der Titel vorgibt, in ihrem emotionalen Nachvollzug zu entsprechen und gab damit zu verstehen, daß es ihr wichtig ist, das Musikwerk möglichst so zu verstehen, wie es in der Absicht des Komponisten zu liegen scheint.

Der Komponist seinerseits war sich der Fragwürdigkeit einer Bedeutungsvorgabe durch den Titel wohl bewußt, da sie die eigentliche Absicht, nämlich »durch die Musik gerührt und bewegt zu sein« leicht in ein irreführendes Suchen ablenken kann.

Die Hörergruppen begannen ebenfalls, nach Bekanntgabe des Titels neue Zuordnungen zu bedenken. Dabei agierte die Kindergruppe unbefangen und


Erste Seite (2) Vorherige Seite (68)Nächste Seite (70) Letzte Seite (422)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 69 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft