- 68 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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verbaler Kommunikation keinesfalls erlischt, jedoch mit der Dominanz des Spracherwerbs und der mit der Sprache verbundenen vermeintlich einzigen Wirklichkeit in einen nebensächlichen, unwesentlichen Erlebensbereich abgedrängt werden kann. Viele der zu beobachtenden Unfähigkeiten, Emotionalität auszuleben, haben möglicherweise in dieser Entfremdung ihren Ursprung, zumal die Tendenz zur kulturabhängigen, kognitiv konstruierten Einführung in die Sprachgemeinschaft mit ihrer Kontrolle über deren intersubjektiven Gebrauch und dem damit intendierten Vermeiden persönlicher Sprachschöpfungen das Äußern subjektiver Befindlichkeiten verstummen läßt.

Lassen sich Gefühle, deren Wahrnehmung in der Unterscheidung von Ursachen leiblicher Zustände beruht, verhältnismäßig genau benennen, so entziehen sich Gefühle im weiteren Sinne, nämlich Affekte und Stimmungen, dieser eindeutigen Form des Verbalisierens. Ihre Ursachen sind zwar überwiegend in somatischen Zusammenhängen zu sehen, doch die vegetativen Folgen führen zu zentralnervösen Geschehen, die als Gefühle im weiteren Sinne zu charakterisieren sind. Da sich die Entstehungsgründe bei ihnen nur indirekt rekonstruieren lassen, wird über solche diffusen Stimmungen, genauer: Stimmungsverläufe, weitgehend in Gleichnissen gesprochen.

Das gilt in besonderem Maße für Stimmungen, die bei ästhetischen Wahrnehmungen etwa von Theaterspiel oder Exponaten der Bildenden Kunst, am extremsten aber bei der Wahrnehmung von Musikwerken zustande kommen. Für Musik lassen sich in der Sprache, abgesehen von den Feststellung ›laut – leise‹, keine direkten Begriffe finden. Der indirekte Sprachgebrauch erfordert also Verbalisierungen, welche dem Wahrgenommenen gleichkommen. Da die Wahrnehmung von Musik, wie Wahrnehmungen überhaupt, auf der Urteilsfähigkeit beruht, Unterschiede festzustellen, konstituiert sich die Sprache über musikalische Empfindungen letztlich aus einer Art Verbalisierung von Unterscheidungen. Dieser Prozeß ist in doppelter Hinsicht analytisch: Es gilt Stimmungsverläufe untereinander zu differenzieren und gleichermaßen Zusammenhänge zwischen den musikalischen Empfindungen und ihrer sprachlichen Unterscheidung herzustellen.

Der Interpret, der Pianist Mototsugu Harada, wählt als Ausgangspunkt seiner Erklärungen und offensichtlich auch seiner Erarbeitung der Berceuse von Witold Szalonek den Vergleich mit einer Komposition gleichen Namens, der Berceuse von Frederik Chopin. Er greift also auf eine musikalische Erfahrung zurück, um in der Gegenüberstellung Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszufinden. Auch Witold Szalonek weist auf diese Komposition Chopins hin, obwohl er den Einfluß der Musik Chopins viel allgemeiner verstanden wissen will und letztlich den Ausgangspunkt seiner Komposition auf ein zuvor entstandenes Werk verlegt. Die angesprochene Arietta non grata allerdings nimmt Bezug auf den Wohnort in Berlin, den Bezirk Dahlem,


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