- 62 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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ist, bestimmt die unterschiedlichen Stimmungen, die sich jedoch nicht unabweisbar zu einem Handlungsgefüge, zu einer Geschichte zusammendrängen. Grundsätzlich sind die beiden Parts nie aufgegeben, nur nach den bewegten Terzgängen in der rechten Hand und der Lautstärkensteigerung übernimmt während einiger Takte die linke Hand die bewegtere Partie. Nach dieser verhältnismäßig kurzen Abweichung wird das Gleichmaß des Anfangs mit dem Schluß des Stückes wieder hergestellt.

3 Erste Hörergruppe

Die erste Hörergruppe umfaßte acht Personen, die alle mehr oder weniger durch eigenes Musizieren musikkundig sind. Ihnen war zunächst ebenfalls der Titel der Komposition unbekannt und sie kannten auch keine anderen Kompositionen von Witold Szalonek.

In einer ersten Runde der Meinungsäußerungen wurden Eindrücke zusammengetragen, die von Vorerfahrungen und dem Bestreben geprägt waren, Eigenständigkeit zu zeigen. Die punktuellen Feststellungen betrafen unter anderem das Tonmaterial (»Ganztonleiter«, »diatonische Tonleiter«), seine Strukturen (»keine Akkorde«, »Zusammenklänge durch Pedalgebrauch«, Gliederungszusammenhänge des ganzen Stückes) , markante Intervalle und Intervallfolgen (Terzgänge, vermeintliche Häufigkeit von Tritoni). Erinnert wurden Anklänge an Sergej Prokofjews Visions fugitives5,

5 Sergej Prokofjew: Visions fugitives , zwanzig Stücke für Klavier (1915–1917), op. 22.
an Frederik Chopins Terzen-Etude6,
6 Frederik Chopin: Zwölf Etuden, op. 25, darin Nr. 6 in gis-Moll als Terzen-Etude bekannt.
auch an Johann Sebastian Bachs »komplementär-rhythmische Stimmführung«. Man vermutete in dem Stück eine »Etude« oder »Toccata« zu hören, wobei die Diskussion und Klärung im Gruppengespräch letztlich der Etude den Vorrang gab – zum Beispiel wie bei einer Gitarren-Etude, in der das »chromatische Herumschieben von Griffen« geübt werden soll.

Zugleich wurden verschiedene Aussagen zum Charakter des Stückes gemacht: »expressiv aber dennoch unterkühlt«, »änderte sich nicht im Energiegehalt, zu gleichbleibend«, »vorwärtsstrebend«, »durchhörig oder transparent«, »sehr einsam, vor allem zu Beginn und am Schluß«, »es klang sehnsüchtig, leicht traurig, mal wieder stärker, aber letztlich immer unerfüllt«. Einige dieser Charakterisierungen verbanden sich mit Hinweisen auf den Verlauf der Musik: Zum Beispiel wurde geäußert, daß die »Transparenz« des Stückes selbst in seinem Mittelteil beibehalten ist, wenn sich »mehrere Schichten Übereinanderlegen und sich dennoch gut verfolgen ließ, wie


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