- 59 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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und crescendo«, die im 7. Takt in einer klanglichen Verdichtung von Triller und Arpeggio mündet, durchbricht jegliches Gleichmaß, wie es in der Berceuse von Chopin sowohl in der kontinuierlichen Begleitung als auch in der zwar ausgreifenden, variantenreichen aber stets den Grundharmonien verpflichteten Melodie gegeben ist. Andererseits ist die rhythmische Vielfalt in der Melodieerfindung Chopins, in den »glitzernden Akkordbrechungen, Fiorituren, Arabesken, Trillern und kaskadenartigen Passagen« bei Szalonek nicht zu finden;3

3 Werner Oehlmann, Klaus Billing, Walther Kaempfer: Reclams Klaviermusik Führer, Bd. 2, Stuttgart 1981, S. 279.
er beschränkt sich auf etwa fünf rhythmische Motive in der Melodie, nur die Begleitung, die allerdings eine andere Funktion hat als bei Chopin, ist ebenfalls durchgängig in Achtelnoten gehalten.

Nicht zuletzt durch Hinweise Witold Szaloneks4

4 Angesprochen ist hier ein Vortrag von Witold Szalonek, Das Oeuvre von J.S.Bach und Frederik Chopin: zwei Paradigmen der neuzeitlichen europäischen Musikkultur, den er am 10.06.1999 neben anderen unter Mitwirkung von Mototsugu Harada gehalten hat.
hat Mototsugu Harada in der Musik Chopins auf Glockenklänge geachtet, die für ihn bei Chopin durch nachschlagende Töne erzeugt werden. Im Vergleich dazu könnten bei Szalonek die Intervall- und Akkordkonstellationen der linken Hand als Glockenklänge gedacht sein, zumal sie nach den genauen Anweisungen für den Pedalgebrauch ineinanderklingen sollen. Ähnlichkeiten zur Berceuse von Chopin ergeben sich auch durch Tonrepetitionen (T. 28–30) und Terzgänge (T. 44–50) in der rechten Hand, wobei allerdings die Terzgänge bei Szalonek ausschließlich aus großen Terzen bestehen.

Die beschriebene Regelmäßigkeit in der Berceuse von Szalonek, die zunächst noch mit Beginn der Terzgänge konstant zu bleiben scheint, ist für Mototsugu Harada mit Beginn der Takte 52, 53 unterbrochen. Er stellt sich die Frage, ob auch die Regelmäßigkeit in der Abfolge der zugrunde liegenden Zwölftonreihe in der linken Hand verlassen wurde. Zwar hat er die Tonfolge der Reihentechnik nicht aus- und nachgezählt, doch da die Reihentechnik auch den formalen Ablauf des Stückes prägt, ist jede Unterbrechung des regelmäßigen Ablaufs sofort zu spüren und wird vom Interpreten mitvollzogen.

Auf die Frage nach dem Schwierigkeitsgrad der Berceuse unterscheidet Herr Harada das Bemühen, den Notentext zu lesen, von der spieltechnischen Umsetzung auf dem Instrument. Für ihn ist entscheidend, wie rasch sich eine Vertrautheit mit dem Klang der Komposition einstellt, wie der Klang im Ohr bleibt und Gefühle wachruft. Eine solche persönliche Beziehung hat sich bei der Berceuse von Witold Szalonek recht bald eingestellt: Schon die Einleitung ist »sehr originell und persönlich, besonders mochte ich von Anfang an den Takt 7, die gebrochenen Dreiklänge – das ist Herr Szalonek!« Hierbei spielen offensichtlich Erinnerungen an einen mehrjährigen Aufenthalt in Polen


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