- 388 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Im Geringsten stellt eine Biographie die mehr oder weniger privaten Lebensumstände eines Menschen dar, ohne sein Schaffen näher zu beleuchten und die Ergebnisse seiner Tätigkeit hierzu in Bezug zu setzen. Für das Verständnis des musikalischen Werks ist eine solche Biographie für sich genommen wenig hilfreich; der Betrachter rezipiert den Lebenslauf im Sinne eines Theatrum Mundi ohne näheres Verständnis für die Sache. Auch wenn ihm einzelne Aspekte nahe stehen und er aus der Betrachtung des Anderen Gewinn für sich selber ziehen kann, bleiben solche Verknüpfungen im Beliebigen, sind kaum planbar und intersubjektiv nicht verbindlich zu machen. So ist die Auseinandersetzung mit dem verfemten Künstler des 3. Reichs sicherlich eine Erfahrung, die Verständnis für die Unmenschlichkeit totalitärer Regime und für die weitgreifenden Folgen auf die Psyche eines Menschen erwecken kann, aber welches Verständnis für die musikalischen Aspekte des in diesen Umständen entstandenen Werkes kommen zum Ausdruck? Wo die Musik lediglich zum schmückenden Beiwerk oder zur Illustration biographischer Beschreibungen reduziert wird, bleiben die Möglichkeiten einer Annäherung an das Werk mittels Biographie rudimentär.

Das Gegenbeispiel einer Lebensbeschreibung, die vorgibt, das musikalische Werk zu begründen, erscheint jedoch ebenso wenig wünschenswert, wird hier doch suggeriert, was in fast allen Fällen eben nicht gelingen kann: einen musikalischen Inhalt aus einem klar definierbaren und nach allen Seiten abgrenzbaren Lebensumstand des Komponisten oder Interpreten zu deduzieren. Biographien, die – wenn auch nur in Teilen – ihre Bedeutung für ein mögliches Musikverständnis des Lesers mittels einer solchen Eins-zu-Eins-Verknüpfung zu beziehen versuchen, verstellen mehr als sie offenbaren. Eher kontraproduktiv wird beim Leser der Eindruck erweckt, ein Werk erschließe sich u.U. allein über seine außermusikalischen Entstehungsumstände und benötige zur Interpretation keine innermusikalische Auseinandersetzung mehr. So wurde und wird in der Fachliteratur manches Werk (auch der Rock- bzw. Popmusik) zu vorschnell einem außermusikalischen Ereignis zugesprochen, ohne den nachvollziehbaren Beweis mittels einer Analyse der Musik anzutreten; dass hier auch die Künstler selber nicht immer ausreichend Tatsachen von Entstehungsanekdoten – die sicherlich auch verkaufsfördernd wirken – trennen, macht das Verwirrspiel um ein vorgebliches Werkverständnis um so einfacher.

Die Extrema einer Außerachtlassung des Werks bzw. einer oberflächlichen Indienstnahme für ein vorgebliches Werkverständnis entsprechen zwar keineswegs der Vielzahl qualitativ ansprechender Musikbiographien, sie kennzeichnen aber doch die Probleme, die in der didaktischen Aufarbeitung der Materialien entstehen können und denen man sich bewusst sein sollte, wenn man Biographisches im Unterricht thematisiert. Eingedenk der Nachteile,


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