- 386 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Der Wandel des Musikunterrichts wurde zudem im Rahmen der Wissenschaftsorientierung und Wissenschaftspropädeutik durch eine stärkere Hinwendung zur Musikwissenschaft geprägt. Gerade die Musikwissenschaft hatte jedoch das Mittel der Biographik als Erkenntnishilfe des Werkverständnisses inzwischen zu einer Marginalie ihrer Arbeit deklassiert. Die hierfür genannte Begründung einer Vergänglichkeit der Biographie einerseits und einer zeitlosen Geltung eines Kunstwerks andererseits, entsprach einem Verständnis von biographischer Arbeit im Sinne ausschließlich positivistischer Erkenntnishilfe (vgl. Dahlhaus 1975). Ein Werk auf der Basis der Lebensbeschreibung des Komponisten verstehen zu wollen, erschien – und das im Hinblick auf marxistische Interpretationsversuche sicherlich zu Recht – als ungeeigneter Ansatz.

Mit der Thematisierung der Machbarkeit von Musik, mit der Hoffnung ein Verständnis von Kunst mittels musikalischer Analyse zu erreichen und mit der allgemeinen Ausweitung der Inhalte des Musikunterrichts schwand im Verlauf der 70er Jahre innerhalb der Musikpädagogik die Notwendigkeit, über einzelne Personen der Musikgeschichte zu informieren. Die Namen und Werke verblieben in den Schulbüchern – z.T. ähnlich eurozentristisch wie in den Jahren zuvor. Die biographischen Angaben mussten jedoch weichen oder wurden zu lexikalischen Basisfakten ohne Bezug zum Werk verkürzt.

Die Neuorientierung verbannte allerdings keineswegs den Menschen an sich und seine Lebensumstände aus dem Musikunterricht. Unter musiksoziologischen Fragestellungen richtete sich das Interesse ab jetzt beispielsweise auf den Musikkonsum früherer Zeiten und verfolgte die Gelegenheiten und Zusammenhänge, bei denen Musik im Hinblick auf eine bestimmte Gruppe von Mitwirkenden oder Hörern funktionalisiert wurde (Musik im 3. Reich, Musik im Konzert des 19. Jahrhunderts, Musik der Sklaven auf den Baumwollplantagen usw.). Überdies gewannen im Zeichen neuer Konzeptionen in der Musikdidaktik die Lebenszusammenhänge der Schülerinnen und Schüler an Bedeutung: ihr Alltag wurde als generierender Faktor des Unterrichts erkannt und bedurfte damit stärkerer Aufmerksamkeit.

All diese Umstände hätten eine neue Begründung und Verknüpfung von Biographien mit sich bringen können und damit über die bis dahin bekannte Werkvermittlung hinaus Chancen zur Entwicklung eines modernen Verständnisses von Kunst, Kunstentstehung und Kunstvermittlung geboten. Diese Chance hat der Musikunterricht m.E. bis heute nicht ausreichend genutzt. Freia Hoffmann spricht von einem grundlegenden Informationsbedürfnis, das sich in der Frage »Wer hat Musik komponiert?« ausdrückt. Der Musikunterricht berücksichtige diese Frage nicht ausreichend, die daher in verstärktem Maße vom außerschulischen Musikmarkt besetzt werde (Hoffmann, 1994, S. 8). Diese – und andere – Entwicklungen des Musikunterrichts


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