- 385 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Jahren immer mehr in Widerspruch zum vorfindlichen Musikleben; die biographische Darstellung verlor zunehmend ihre Legitimation.

Vor dem Hintergrund der Funktionalisierung biographischer Darstellungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und in der Erkenntnis der Mängel, die Auswahl und Inhalt solcher Darstellungen bestimmten und die ihnen scheinbar zwangsläufig immanent waren, wurde die Komponistenbiographie Ende der 60er Anfang der 70er Jahre aus den Materialien für den Musikunterricht verbannt. Dass das biographische Element nicht mehr Bestandteil eines zeitgemäßen Musikunterrichts sein sollte, hatte seine Gründe jedoch auch in der Neuorientierung dieses Unterrichts.

3 Die Neuorientierung der Musikpädagogik: Musikvermittlung unter Ausschluss des biographischen Elements

Als ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre neue Konzepte den überkommenen Musikunterricht ersetzten, begann ein radikaler Wandel der Methoden, Inhalte und Ziele in der Musikpädagogik, ein Wandel, der erstmals auch durch eine umfassende wissenschaftliche Begründung und Aufarbeitung begleitet wurde. Ob es sich um die ›Orientierung am Kunstwerk‹, um eine ›Einführung in die Musikkultur‹, um ›Auditive Wahrnehmungserziehung‹, um ›Schülerorientierung‹, ›Handlungsorientierung‹ oder andere Modelle der Musikdidaktik handelte, sie alle wechselten die Perspektive von der Betrachtung des Komponisten als einmaligem und geniehaften Schöpfer zum Verständnis des Werks, der Hörbedingungen, der Vermittlungsbedingungen und der Frage der Machbarkeit von Kunst. Hinzu trat eine Ausweitung der Inhalte auf andere Musikkulturen (geographisch, zeitlich oder sozial determiniert) und ein stärkerer Einbezug des Musiklebens im jeweiligen Entstehungs- oder Verwendungszusammenhang. Das Verständnis um Inhalte und Bedingungen von Musik sollte genauso durch mündiges Hören und emanzipativen Umgang wie durch selbstbestimmte Mitgestaltung und kritische Distanz des Vorfindlichen geprägt sein. Auf diese Weise verschwand ein Großteil der emotional bestimmten Zugänge zur Musik, die bis dahin den Unterricht bestimmten. Auch das biographische Element wurde als eine emotional geprägte Vermittlungshilfe von jetzt an vernachlässigt; man lehnte die Hilfsanalogien zwischen Leben und Werk ab, die bis zu diesem Zeitpunkt lediglich vordergründige Identifikationen angeboten hatten und die außermusikalischen Informationen in den Mittelpunkt stellten, anstatt zu den eigentlichen Inhalten eines Werkes zu gelangen.


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