»Durch geeignete Beispiele sollen die Kinder dazu angeregt werden,
z. B. nach der Herkunft oder der Bedeutung
der Musik in ihrer Entstehungszeit
oder nach der Absicht des Komponisten zu fragen oder
sich über die Wirkung der Musik Gedanken zu machen.«
(Richtlinien, S.
23)
Ob statt dessen den Schülerinnen und Schülern auf der Basis
der heute benutzten Materialien die Musik als ›Himmelsgeschenk‹ nahegebracht
wird, als eine ›Eingabe‹, deren irrationale ›Wunderhaftigkeit‹ den Nachvollzug
nicht erlaubt, oder als kunstgewerbliches Handwerk, das jeder, der die Technik
beherrscht, gleichermaßen hätte zuwege bringen können, ist
nicht zu sagen. Betrachtet man die Unterrichtshilfen aller Schulstufen, so
finden sich Stil- und Inhaltsfragen, Rahmenbedingungen der Entstehungszeit,
Reproduktions- wie Rezeptionsmöglichkeiten in methodischer Vielfalt;
das Problem, Werk (im Ganzen oder in Einzelteilen) und Vita einer konkreten
Person zu verbinden, steht demgegenüber meist hintenan. Dies hat zwei
Gründe, die im folgenden zur Grundlage der weiteren Ausführungen
darzustellen sind.
2
Die Diskreditierung des biographischen Elements in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts
Die Bedeutung der biographischen Darstellung in der Musikwissenschaft des
19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde bereits von Freia Hoffmann
nachgezeichnet (vgl. Hoffmann, 1994). Festzuhalten ist an dieser Stelle lediglich,
dass die Personalisierung der Musikgeschichte – parallel zur Darstellung
der Herrschergeschichte in den historischen Wissenschaften – das individuelle
Moment dergestalt hervorhob, dass es in seiner Einmaligkeit und Besonderheit
zum Synonym für jenes Geniehafte wurde, das einen bedeutenden Komponisten
unzweifelhaft zu kennzeichnen hatte. Der Versuch, die Idealisierung des Schaffens
mit der Idealisierung der Biographie zu verknüpfen, ließ den Autoren
Anekdotenhaftes bis Unwahres zur Begründung derartiger Bezüge als
geeignet erscheinen. Dem Komponisten in der Biographie ein Denkmal zu setzen,
war die einseitige Zielsetzung solcher Darstellungen, die eine meist einseitige
Auswahl der biographischen Fakten voraussetzte. Als zur Jahrhundertwende
verstärkt das Werk in die biographische Darstellung einbezogen wurde,
diente dies dann weniger der Explikation als mehr der erweiterten Begründung
des »Genies« einer Person.
Dieses – zugegebenermaßen sehr knappe – Bild verdeutlicht, auf welche
Vorgaben die Musikpädagogik zurückgreifen konnte, als sie im Zuge
der Kretzschmarschen und Kestenbergschen Ausweitung des Schulgesangunterrichts
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