- 383 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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»Durch geeignete Beispiele sollen die Kinder dazu angeregt werden, z. B. nach der Herkunft oder der Bedeutung der Musik in ihrer Entstehungszeit oder nach der Absicht des Komponisten zu fragen oder sich über die Wirkung der Musik Gedanken zu machen.«  (Richtlinien, S.  23)

Ob statt dessen den Schülerinnen und Schülern auf der Basis der heute benutzten Materialien die Musik als ›Himmelsgeschenk‹ nahegebracht wird, als eine ›Eingabe‹, deren irrationale ›Wunderhaftigkeit‹ den Nachvollzug nicht erlaubt, oder als kunstgewerbliches Handwerk, das jeder, der die Technik beherrscht, gleichermaßen hätte zuwege bringen können, ist nicht zu sagen. Betrachtet man die Unterrichtshilfen aller Schulstufen, so finden sich Stil- und Inhaltsfragen, Rahmenbedingungen der Entstehungszeit, Reproduktions- wie Rezeptionsmöglichkeiten in methodischer Vielfalt; das Problem, Werk (im Ganzen oder in Einzelteilen) und Vita einer konkreten Person zu verbinden, steht demgegenüber meist hintenan. Dies hat zwei Gründe, die im folgenden zur Grundlage der weiteren Ausführungen darzustellen sind.

2 Die Diskreditierung des biographischen Elements in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Die Bedeutung der biographischen Darstellung in der Musikwissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde bereits von Freia Hoffmann nachgezeichnet (vgl. Hoffmann, 1994). Festzuhalten ist an dieser Stelle lediglich, dass die Personalisierung der Musikgeschichte – parallel zur Darstellung der Herrschergeschichte in den historischen Wissenschaften – das individuelle Moment dergestalt hervorhob, dass es in seiner Einmaligkeit und Besonderheit zum Synonym für jenes Geniehafte wurde, das einen bedeutenden Komponisten unzweifelhaft zu kennzeichnen hatte. Der Versuch, die Idealisierung des Schaffens mit der Idealisierung der Biographie zu verknüpfen, ließ den Autoren Anekdotenhaftes bis Unwahres zur Begründung derartiger Bezüge als geeignet erscheinen. Dem Komponisten in der Biographie ein Denkmal zu setzen, war die einseitige Zielsetzung solcher Darstellungen, die eine meist einseitige Auswahl der biographischen Fakten voraussetzte. Als zur Jahrhundertwende verstärkt das Werk in die biographische Darstellung einbezogen wurde, diente dies dann weniger der Explikation als mehr der erweiterten Begründung des »Genies« einer Person.

Dieses – zugegebenermaßen sehr knappe – Bild verdeutlicht, auf welche Vorgaben die Musikpädagogik zurückgreifen konnte, als sie im Zuge der Kretzschmarschen und Kestenbergschen Ausweitung des Schulgesangunterrichts


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