- 378 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Studenten, Bohémiens, Revoluzzer. Diese Leute haben offenbar Eigenschaften, die dem Durchschnittsbürger abgehen und ihn deswegen faszinieren. Sie verachten Besitz und Moral, und indem sie ins Zentrum gerückt werden, verkehrt sich das unterste zuoberst.

In Eva (1911) von Franz Lehár (1870–1948) tauchen zwar Fabrikarbeiter als pittoreske Außenseiter auf, sozialkritische Bezüge werden aber vermieden. Trotz des deutlich gemachten Rückgriffs auf Aschenbrödel wird hier der glückliche Schluß als utopischer Zustand persönlicher Liebe ohne Klassenschranken dargestellt. Alltägliche Machtverhältnisse werden ignoriert oder auf den Kopf gestellt – wiederum nur möglich als Vorrecht der Operette. Soweit Volker Klotz.

Oscar Straus benutzt ebenfalls Travestie als Mittel der Satire. Seine Lustigen Nibelungen (uraufgeführt im Carl-Theater Wien am 12.11.1904) waren allerdings kein Kassenschlager; nach 25 Aufführungen verschwand das Stück vorzeitig aus dem Repertoire. Möglicherweise sind hier die geheimen Gedanken und Wünsche der Kleinbürger so grell beleuchtet, daß sie sich ertappt fühlten? Wenn ein Voyeur sich im Spiegel wiedererkennt, hat der Spaß aufgehört – zumindest in der Operette.

Das Stück ist eine von den zahlreichen Richard-Wagner-Parodien der Jahrhundertwende. Freilich erscheinen die Mittel Offenbachs eher in spießbürgerlicher Verfremdung. Abgesehen von den bekannten Heldenrollen aus dem Ring ist der geschichtliche Bezug kaum wiederzuerkennen. Schon der Eingangschor stellt sich als respektlose, ja zynische Bemitleidung des Königs Gunther dar: »Er sieht so miesepetrig aus und nicht wie sonst so munter!/ Was hat er blos, was hat er blos, der gute König Gunther?« Kriemhild wird als romantische Märchengestalt mit ironischer Lyrik bedacht: »Einst träumte Kriemhilden am wonnigen Tag,/ sie läge auf Blüten im sonnigen Haag« und Siegfried als rüpelhafter Twen hingestellt: »Ich brachts auf dem Gymnasium mit Not bis Obertertia,/ denn das verfluchte Studium macht keinem Recken Scherz ja!«

Das Rheingold, das am Schluß den Tod Siegfrieds verhindert, liegt sicher im Depot auf der Rheinischen Bank. Gunther, der als tolpatschiger Versager die Liebenden beobachtet, bedient sich ungeschickt des Stabreim: »Schau wie die Schelme schäkern und scherzen!/ Lausch wie der Lose listig das Wort lenkt;/ lodernde Liebe liegt in den Lüften!« Aber er kann auch ausfallend werden: »Bin ich nicht der König Gunther?! Bin der König von Burgund?/ Und ich hau dir eine runter, hältst du nicht sofort den Mund!« Der Chor kommentiert verständnisvoll: »Das ist der Furor teutonicus, von ihm berichtet schon Tacitus/ kein Tisch bleibt ganz, kein Stuhl, kein Spind, sooft Germanen gemütlich sind.« Und heizt die Stimmung auch noch kräftig an: »Jetzt laßt uns lustig sein, schlagt alles kurz und klein, [...]/ haut ihm


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