- 377 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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In der Tat wird die Rolle des Frosch meist dazu mißbraucht, ungehemmt zu chargieren und aktuelle Tagespolitik zu bewitzeln – ein beliebter Auftritt für Komiker. Ein tiefsinniger Denker wäre hier auch fehl am Platze. Volker Klotz analysiert den musikdramatischen Zusammenhang durch drei Leitsituationen (vgl. Klotz 1997, 114): sozialer Rollenwechsel und wie man ihn ergaukelt, räumliche Isolation und wie man sie sprengt, gesetzte Frist und wie man sie unterläuft.

In Konsequenz ist die Ouvertüre kein anspruchsloses Potpourri, sondern »ein listig andeutendes musikalisches Programm dessen, was sich alsbald zeigen soll. [...] Jedesmal zielt und trifft Strauß mit seinen Librettisten sehr genau auf den Riss zwischen gelebter und vorgetäuschter Haltung.« (Klotz 1997, 117) Klotz deutet die ganze Geschichte, die Dr. Falke aus Rache inszeniert hat, als »unverheiltes Trauma«, entstanden durch den unerwarteten Sturz in die Realität, in die Alltagswelt, als Falke in der Verkleidung einer Fledermaus auf einer Parkbank erwacht war. Es geht um die »Unvereinbarkeit zwischen den strikten Verwertungsregeln des bürgerlichen Erwerbslebens überhaupt und dem unzerstörbaren Drang nach interesseloser heiterer Verbrüderung« (Klotz 1997, 120).

Klotz sieht hier kein soziologisches, sondern vielmehr ein psychologisches Phänomen: den Widerstreit zwischen latentem Wunschdenken und Wirklichkeit. Mithin ein zeitloses Anliegen jedes Theaters: das Publikum will der Alltagswirklichkeit entfliehen, sonst würde niemand das Theater besuchen. Vielleicht spielt aber noch ein anderer Gesichtspunkt mit: »Die Operette verkehrt die Machtverhältnisse der bestehenden Gesellschaft, indem sie deren auffälligste Größen komisch entmachtet. [...] Anderseits feiert sie, indem sie ihnen eine handlungsmächtige Heldenrollen einräumt, jene Gruppen, die im bürgerlichen Alltag wenig bis gar nichts zu sagen haben.« (Klotz 1997,48) Gesetzt den Fall, gerade jene Gruppen bilden die Mehrheit des Publikums, so kann man ihnen getrost das nostalgische Wunschdenken unterstellen, das die Oberschicht gelassen toleriert. Die Machtverhältnisse erscheinen (heute noch) so gefestigt, das auf Zensur verzichtet werden kann, ja es ist sogar erwünscht, ein Ventil für unerfüllbare Wünsche offen zu lassen.

Dagegen wird in der Operette das Industrieproletariat und der Bauernstand übergangen, im Bewußtsein der Bürger offenbar eine zu vernachlässigende Größe, da deren Vertreter nur selten als Publikum beachtet werden oder (vielleicht) wenig Interesse am Theater zeigen. Der »aufsässige Schwung anarchischer Tollerei« prallt ab von dem »rustikal Seßhaften« (Klotz 1997, 122). Sogar der Fidele Bauer von Leo Fall verschont »operettenwidrig die eigene, lediglich derbere Form von inzüchtiger Selbstgefälligkeit.« Statt der realen Unterschichten werden eher exotische Randgruppen vorgestellt: Räuber, Schmuggler, Korsaren, Zigeuner, Zirkusakrobaten, Matrosen, trinkfreudige


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