- 376 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Bewegungsdrang seiner Zeit. Suppé bediente den Bedarf nach Kantilenenseligkeit wie den nach schmissiger Bravour. Beide trafen den Nerv ihrer Zeit. Die Welt der Illusionen mit einem Schuß Erschrecken über Verbotenes löste damals Jubel und Beifall aus; heute nicht mehr.« Und weiter:

»Die Fledermaus von Johann Strauß, die erfolgreichste Operette aller Zeiten, ist zugleich die, die so dreist wie keine andere auf jede Zusammenhang stiftende Handlung verzichtet. Irgendwelche Leute besuchen in komischen Verkleidungen einen Ball, um von den andern nicht erkannt zu werden, sie singen und trinken und – vor allem – tanzen dort unentwegt herum, erkennen einander schließlich doch, finden sich am Morgen danach verkatert in einem Gefängnis ein und sind am Schluß alle wieder bestens gelaunt: das Tanzen hat tatsächlich geholfen.«

Johann Strauß (Sohn 1825–1899) gelang mit der Fledermaus (1874) ein Erfolg, der kaum zu überbieten ist. Über die Handlung in der Fledermaus, oder besser über das Fehlen einer solchen, ist schon viel geschrieben worden. Auf den Gedanken, daß es nur ein kabarettistisch gut aufbereiteter Spaß um seiner selbst willen ist, kam wohl keiner. Zimmerschied: »Der Hauptteil ist im Sinne der klassischen Sonatenform gestaltet.« (Zimmerschied 1988, 85) Nun ist natürlich auch der Spaß ein Kind seiner Zeit und wird nur dann als solcher verstanden, wenn das Publikum seine eigenen Gedanken und Sehnsüchte wiedererkennt und in gewisser Weise erfüllt sieht.

Wenn Uwe Mattheis im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung (11.5.99) ärgerlich feststellt, daß in Wien von mediterraner Leichtigkeit keine Rede sein kann (»das Tanzparkett ist in Wiener Nächten eine ernste Sache, streng reglementiert von Kleiderordnungen, Gruppenzugehörigkeiten und dem Ballkalender«), so mag das zu Strauß’ Zeiten nicht viel anders gewesen sein. Anlass zu dieser Äußerung waren die Wiener Festwochen 1999 mit einer Aufführung der Fledermaus unter Nikolaus Harnoncourt. »Das Fest beim Prinzen Orlowsky deckt noch immer den Kunstbegriff der meisten Wiener: die darstellenden Künste als ein in die Mediengesellschaft herabgesunkenes Spektakel höfischer Repräsentation.« Und doch gibt es Unterschiede in der Inszenierung:

»Der absurde Zwang, die eigene ›vita sexualis‹ selbst vor den nächsten Menschen zu verbergen, ist so unerbittlich nicht mehr. [...] Jeder betrügt jeden auf offener Bühne, mit offenen Karten. [...] Der Wunsch ist nicht mehr, den andern in die Irre zu führen, sondern beim Vollzug gut auszusehen. [...] Erwin Steinhauer (als Frosch, d. V.) bleibt im Schlußakt ganz in der Tradition des unterwürfigen Subalternen, der im Suff gegen die Obrigkeit motzt. Es wäre die Zeit für einen hellsichtigen Clown, dem der Weingeist die klare Sicht der Dinge eröffnet.«


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