- 375 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Dagegen stehen in Offenbachs Galopp die Viertelschläge – und in manchen Takten sogar die Achtel – nahezu gleichgewichtig nebeneinander und streben dadurch, daß der metrisch abgestufte Rhythmus als eine unaufhaltsam weitertreibende Bewegung wirkt, nachdrücklich über die Taktgrenzen hinaus.« (Dahlhaus 1980, 192)

Wenn diese Beobachtung zuträfe – und sie läßt sich kaum widerlegen – würde sich Offenbach gleichsam als früher Vertreter des Swing-Stils zu erkennen geben. Auch bei Lehár glaubt Zimmerschied einen Vorläufer des Foxtrott zu sehen: »Dann geh ich ins Maxim.« (Zimmerschied 1988, 110)

4 Die Wiener Operette

Unbeschadet durch die Kritik an der Aristokratie bestand in Wien das Leitbild einer Oberschicht, wie es in Großbritannien teilweise heute noch vorherrscht. Trotz gegenteiliger Behauptungen sehnt sich auch der demokratische Bürger nach idealisierten Leitfiguren, und mögen sie auch nur in seiner Phantasie existieren. Dazu gehört die Vorstellung eines gehobenen, wenn nicht sogar ausschweifenden Lebensstils, die feine Abendgesellschaft mit dem Champagnerglas in der Hand, der lockere Umgang mit Partnertausch und freier Liebe, kurz alles, was in der Commedia dell’ arte auch schon vorgegeben ist. Unmittelbare Vorgängerin ist die Opera buffa, bei Offenbach als Opéra bouffe bezeichnet.

Strauß bevorzugt neben dem unvermeidlichen Walzer Polka, Galopp, Rheinländer- Polka und ähnliches. Dazu wird exotisches Flair eingebracht, mit der damals allgemein verständlichen Folklore benachbarter Länder. Später werden die Modetänze ergänzt durch Chansons, Couplets und Schlager. So findet sich als Chanson-Lustspiel das Singspiel Im weißen Rößl von Ralph Benatzky, bei dem die eingefügten Schlager entschieden zu noch mehr Popularität gelangten: Die ganze Welt ist himmelblau (Robert Stolz), Was kann der Sigismund dafür daß er so schön ist (Robert Gilbert), Zuschaun kann i net (Bruno Granichstaedten) usw. Der Refrain mit stufenweiser Rückung der Tonart um einen Ganzton nach oben ist ein Stilmittel, das seit den 50er Jahren unseres Jahrhunderts mit Erfolg im Chanson und Song verwendet wird. Wie der hier vorausgesetzte Berliner Geschmack den Walzer adaptiert, zeigt der Final-Schlager Im weißen Rößl am Wolfgangsee, der zuerst als Walzer und anschließend (als emotionale Steigerung) im Marschtempo alla breve erklingt (oft begleitet vom rhythmischen Klatschen des Publikums.)

Natürlich fehlte es damals wie heute nicht an Kritik an der ganzen Gattung. So schreibt Rainer Stephan in der Neujahrsausgabe der SZ (31.12.98) unter anderem: »Offenbach kombinierte aufgeklärten Bürgerwitz mit dem


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