- 372 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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2 Geschichte der Operette

Die Operette scheint eine der wenigen Gattungen zu sein, die ihren Ursprung im deutschsprachigen Raum hat. Seit etwa 1730 wurden die italienische Opere buffe sowie die französische Opéras comiques und Vaudevilles unter dieser Bezeichnung eingedeutscht. Als Vorkämpfer für einen eigenen Stil findet man Johann Adam Hiller und Christian Felix Weiße, z.B. mit dem zweiteiligen Singspiel Der Teufel ist los, Musik von Johann Georg Standfuß (1766). Weitere Meilensteine sind Mozarts Bastien und Bastienne (1768) und Karl Ditters von Dittersdorfs Doktor und Apotheker (1786), der anfänglich Mozarts Figaro an Beliebtheit weit übertraf, später aber vergessen wurde. Bei Christian Gottlob Neefe ( Amors Guckkasten 1772) und Dittersdorfs Orpheus der Zweite (1787) ist die Parodie antiker Götter schon vorgegeben, die Offenbach gut 70 Jahre später berühmt machte.

Eine lange Tradition hat die Figur des Hanswurst aus dem Altwiener Volkstheater (vgl. Grun 1963, 89). Er findet sich als Kasperl mit Wiener Mundart im Theater in der Leopoldstadt, repräsentiert von Johann Laroche, als Thaddädl, einem vorlauten Lehrbub, kreiert durch Anton Hasenhut, und als Staberl, den Ignaz Schuster als aufschneiderischen Spießer (Scaramouche!) darstellte. Als komische Figur finden wir in der Fledermaus den Frosch wieder, von Komikern gern zum Anlass für kleine Einlagen und aktuelle Späße genommen. In der Oper wäre das undenkbar.

Die Bezeichnung Operette oder Singspiel wurde lange Zeit für deutschsprachige heitere und komische Stücke verwendet. Die Bemühungen um eine eigene deutsche Form betrafen sowohl das Libretto (deutsche Sprache, Mentalität, Charaktere, heimatliche Örtlichkeiten) wie auch die Musik (volkstümliche Lieder und Arietten, ungeschulte Stimmen der Schauspieler). Hiller schrieb seine deutschen Arietten gezielt für Schauspieler, nicht für Opernsänger, wohl in der Überzeugung, daß die letztgenannten kaum Interesse für unattraktive Rollen zeigen würden. Kein Wunder, daß die fehlende Gesangskultur Anlass zu heftiger Kritik gab. Hiller sah sich daraufhin veranlasst, eine Art Singschule einzurichten (Leipzig 1771), wohl das erste Konservatorium dieser Art in Deutschland. Etwas Ähnliches gab es nur in Mannheim seit 1776, wo Joseph Vogler die Mannheimer Tonschule gründete, gedacht als Vorschule für Mitglieder des Mannheimer Orchesters.

Bei der Diskussion über die Zukunft der Operette wird meist übersehen, daß es nicht um die museale Erhaltung überlieferter Partituren geht. Entscheidend ist vielmehr das Einbinden in die gesellschaftliche Gegenwart, wobei dramaturgische Gestaltung und optische Präsentation im Vordergrund stehen. Ein Bühnenbild mit tiefsinnigen Symbolen und abstrakter Sachlichkeit hätte keine Chance gegenüber einer Revue mit Tanzeinlagen. Gelegentlich


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