- 365 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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»Und da gerade von Gefahren die Rede ist, so mag an dieser Stelle kurz ein Moment gestreift werden, das vielfach irrtümlich als Gefahrenmoment empfunden wird: es wird zu häufig mit dem Begriff der Technisierung dasjenige der ›Mechanisierung‹ verbunden. So spricht man durchaus fälschlicherweise von ›mechanischer Musik‹ und meint damit nicht eine wirklich mechanische Musikerzeugung oder Musikwiedergabe, wie die zum Beispiel durch das Pianola, sondern die technische Klangvervielfältigung. Und mit dieser irrtümlichen Begriffssetzung ist nun weiter die Vorstellung einer Gefahr vorhanden, die in Wahrheit gar nicht vorhanden ist, nämlich: als ob das menschlich Seelenhafte hier von einer Kraft des kaltnüchternen Maschinellen bedrängt werde. Wohin man sich auch wendet, ob zum Tonfilm, Rundfunk, Schallplatte, elektrischer Musikerzeugung oder zum Fernsehen – nirgends ist etwas Ähnliches zu erblicken. Überall handelt es sich nur darum, daß von Menschen geschaffene Leistungen auf technische Weise verbreitet werden, ohne daß ihre Substanz dadurch auch nur im geringsten angetastet ist. Ja, dies ist ja gerade das Ziel der Technik: die möglichst unverletzte Darstellung dieser von Menschen ausgehenden und auf Menschen zustrebenden Wirkungen. Da ist nichts Totes, nichts Materialgebundenes, das im Kern eine Hemmung für das geistig-seelenhafte Prinzip bedeutet. Im Gegenteil: der Rundfunk ist Ohr und Mund des Menschen, ins unendliche verlängert. Er, wie alle die andern technischen Mittel, unterdrücken nichts, sie bringen nur eine Wirksamkeit der von Menschen geschaffenen und von ihnen ausgehenden Werte über die bisherigen Grenzen hinaus. Mechanisierung wäre: wenn zum Beispiel an Stelle eines durch einen Menschen vorgenommenen Klavierspiels durch Schallplatte, Tonfilm oder Rundfunk das von vornherein technisch bedingte Spiel, etwa eines Welte-Mignon-Klaviers, verbreitet würde, das wiederum dann auch nicht Wiedergabe einer pianistischen Leistung sein dürfte, sondern bei dem die klavieristische Technik von dem Apparat übernommen wäre; wofür es ja bekanntlich einzelne interessante Beispiele gibt. Aber selbst dann darf man nur mit Vorsicht von einer Mechanisierung sprechen: weil ja auch diese Wirkungen wiederum, ausgehend von der Intention des Komponisten, künstlerisch bestimmt sind. Es wäre sehr gut, wenn man das Wort ›Mechanisierung‹ überhaupt auf diesem Gebiet streichen würde; es hat viele Irrtümer verursacht.«  (Warschauer, in: Kestenberg 1930, 434)

Auffällig ist, daß der Begriff »mechanische Musik« offensichtlich unterschiedlich gebraucht wird. Einerseits ist er eindeutig negativ-kulturkritisch belegt, aber andrerseits begegnet er ganz unreflektiert als Sammelbezeichnung für eine Musik, die in irgendeiner Weise mit Produktions-, Reproduktions- oder Speichergeräten in Berührung gekommen ist. So verwendet E. Meyer »mechanische Musik« sogar in der Überschrift zu seinem akustisch-musiktechnischen Grundlagenartikel – und schließt sich damit nur dem üblichen


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