- 36 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Die von seinen Schülern so geschätzte Ausstrahlung Blachers als Komponist und Pädagoge versuchte der Literaturwissenschaftler Hans Mayer41

41 Hans Mayer, Der Präsident, in: Akademie der Künste (Hrsg.), Boris Blacher zum Gedenken (= Akademie-Anzeiger Nr. 2, Januar 1985), 3.
zu erklären, indem er dessen ästhetische Haltung dialektisch zu seiner fruchtbaren Lehrtätigkeit in Beziehung setzte und damit gleichsam eine gesellschaftspolitische Dimension von Blachers Schaffen offenlegte:

»Er war das Gegenteil eines ästhetischen Prinzipienreiters und Fundamentalisten. Darum wohl ist er so erfolgreich gewesen als Lehrer der jungen Tonsetzer. Er war neugierig auf alles Spielen; seine Vorstellung von Kunst, das zeigt ein Blick auf Blachers Schaffen, ist determiniert vom Sammelbegriff der ›Performances‹, was mit unserem Wort ›Vorstellung‹ eher verkannt als übersetzt wird. Wahrscheinlich hat dieser aristokratische Künstler in einer Welt des Kleinbürgertums alle Kunst als ein Fest verstanden, wobei auch Feste der Anklage möglich waren.«

Mit dem Begriff »Anklage« tangierte Mayer gleichsam das politische Bewußtsein Blachers, das auch den Kompositionsunterricht von Einems – wie aufgezeigt – stetig begleitet hat. Daß das gemeinsame Hören verbotener ausländischer Kriegsnachrichten ein selbstverständliches Ritual jeder Unterrichtsstunde war, mag nur ein Indiz für das große Interesse Blachers am tagespolitischen Geschehen sein, auf das er von Einem aufmerksam machte. Im Gegensatz zu jenen Schülern, die ab 1948 aus Blachers Kompositionsklasse an der Berliner Musikhochschule hervorgehen sollten (Reimann, Burt, Yun, Klebe u.a.), erhielt Gottfried von Einem seine Ausbildung als Privatschüler Blachers während des Zweiten Weltkrieges. Nicht zu übersehen ist daher, daß zweifellos der Nationalsozialismus als politisches Ferment auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis eingewirkt und zumindest ein Gefühl der Solidarität im Sinne einer gemeinsamen Aversion gegen das Verbrecherische der Nazibarbarei hervorgerufen hat – ein politisch-zeitgeschichtlich bedingter Umstand also, aus dem neben musikalischen Anschauungen die Basis für eine langjährige Freundschaft erwachsen konnte. Der für die Beziehung von Einem-Blacher so signifikante pädagogische Eros gründet somit nicht ausschließlich auf einer gegenseitigen musikalisch-erzieherischen Wertschätzung von Schüler und Lehrer, sondern zum Großteil auch auf persönlich geprägte und gemeinsam durchlebte Erfahrungen, die im Zuge politischer Repression zwei Menschen näher zusammengeführt und bis zum Tode Blachers im Jahr 1975 eng verbunden hat.

Auch Brunhilde Sonntag verband mit ihrem Lehrer Gottfried von Einem bis zu seinem Tod 1996 eine Freundschaft, die sich in stets regem Austausch


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