- 359 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
  Erste Seite (2) Vorherige Seite (358)Nächste Seite (360) Letzte Seite (422)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

technisches Studium und gründliche Kenntnisse« erreicht, hört der Laie »unvermittelt schönklingende Geräusche und gerät durch sie in einen Gefühlsrausch, bei dem er es bewenden läßt«. Der Fachmann, der dem Laien mit seinen Kenntnissen und Fertigkeiten zur Hilfe kommt, vermittelt nach Jödes Meinung keinen angemessenen Weg in die Musik; »wie denn auch die große Zahl der heute üblichen schlimmen Musikführer [...] nichts weiter aufweisen als eben Worte über Gefühlsausdruck und Technik«. In einem späteren Kapitel (Jöde 1919, 18ff.) setzt sich Jöde polemisch mit einer solchen »Ungeheuerlichkeit« auseinander: Arnold Scherings Schrift Musikalische Bildung und Erziehung zum musikalischen Hören .

Die Begründung einer Alternative beginnt mit den Worten: »Wir, die wir das Erlebnis der Jugendbewegung in uns tragen [...]«. Es folgt das für heutige Leser kaum noch nachvollziehbare Vokabular in Gedankengängen, die zumindest teilweise hochgradig ideologisch-irrational erscheinen. Für Jöde ist Musik eben keine »Stimmungsangelegenheit mehr, erfüllt durch mechanisch-technische Fertigkeiten, sondern eine Gesinnungsangelegenheit« (Jöde 1919, 16). Der Technik-Begriff entspricht hier noch ganz dem, was Kestenberg im vorangestellten Zitat als »früheres« Wortverständnis bezeichnete. Kestenberg führt hierzu weiter aus:

»Man hatte bisher unter Technik entweder die Art der Tonaneinanderreihung, die Struktur eines Stückes (Technik der Komposition) oder einen bestimmten Fertigkeitsgrad, die spezifische Eigenschaft musikalischer Instrumente und ihre psychologische Rückwirkung (Technik des Gesangs oder des Instrumentalspiels) verstanden. Heute begreifen wir unter Technik viel mehr den Prozeß des Bewegungsablaufes, die Art der Tonerzeugung und der Tonwiedergabe (Technik der mechanischen und maschinellen Wiedergabe).« (Kestenberg 1930, 8)

Dass sich Jöde einer solchen »mechanischen und maschinellen« Musiktechnik nicht verschloß, (besonders als das Musikleben von der qualitätssteigernden Wirkung elektrischer Aufnahmeverfahren (Verstärkerröhre) förmlich überrollt wurde,) zeigen seine Bemühungen um schulgerechte Schallplattensammlungen und Rundfunksendungen.

Etwas verallgemeinernd gilt, daß der veränderte Technik-Begriff erst in den letzten Jahren des Jahrzehnts vermehrt verwendet wird, denn musiktechnische Geräte wurden zunächst einzeln gesehen und als solche auch einzeln bezeichnet (Radio/Grammophon/Schallplatte usw.). Erhebliche innere Widerstände bei der Einführung in die schulmusikalische Praxis waren nicht selten. Im zeitgenössischen Bericht eines »akademisch gebildeten« Musiklehrers heißt es (über den Umgang mit einer mechanischen »Sprechmaschine«) sehr bezeichnend: »[...] Ich schämte mich bald vor mir selber, daß ich diesem


Erste Seite (2) Vorherige Seite (358)Nächste Seite (360) Letzte Seite (422)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 359 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft