- 356 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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»Technik ist die Lehre von der praktischen Thätigkeit, welche sowohl die Schöpfung wie die Ausführung eines Kunstwerks erfordert; sie ist gewissermassen der Gegensatz der Aesthetik. Wie diese die in der Idee des Kunstwerks gebotenen Gesetze zu erforschen und festzustellen sucht, so jene die durch das Material gebotenen. In der Tonkunst umfasst die Technik demnach die Lehre von der Erzeugung und der mehr materiellen Verwendung der Töne und Klänge. Die Technik des Instrumentenspiels und des Gesanges umfasst die Summe der Fertigkeiten, welche zur correcten Ausführung eines Tonstücks nothwendig sind. Zur Technik des Clavierspiels gehören ein präciser Anschlag in allen Stärkegraden; correcter Fingersatz und der Grad von Geläufigkeit, welcher erforderlich ist, um auch die schwierigsten Figuren im entsprechenden Tempo sauber und ohne Anstrengung ausführen zu können. Diese Fähigkeit gehört auch zur Technik des Gesanges, wie zu der aller andern Instrumente. Zur Technik des Geigenspiels gehört dann ferner auch die Kunst der Bogenführung, der Applicatur, wie der besondern Behandlungsweise der Saiten: des Flageolettspiels, des Pizzicato u.s.w. Zur Technik des Gesangs gehören dementsprechend die Kunst des Tonansatzes, die Accentuation, Vocalisation, das Portamento u.s.w. In wie weit diese Technik dann nach ästhetischen Gesichtspunkten bestimmt wird, erörtert der Artikel Vortrag (s. d.). Auch die Composition, die Schöpfung des Kunstwerks, hat ihre besondere Technik, diese umfasst die Fähigkeiten, die Töne zu bestimmten Formen zusammenzufügen, nach den Gesetzen, die sowohl im Material wie auch in der Idee der speciellen Formen begründet sind, deren Summe die Lehre vom Tonsatz: als Lehre vom Contrapunkt und als Formen- und Instrumentationslehre in sich begreift.«  (Mendel/Reißmann 1878, Bd. 10, 123f.)

Bezüglich des Musikunterrichts stellt sich der Begriff des Technischen allerdings als weitaus problematischer dar, als der zitierte Lexikonartikel nahelegen könnte.

Es soll zunächst daran erinnert werden, daß der Gesangunterricht im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer mehr zur isolierten Vermittlung von ›technischen/mechanischen‹ Fertigkeiten verkommen war. Am Anfang dieser Entwicklung stand Pfeiffer/Nägelis formalisierter Schematismus einer mißverstandenen Pestalozzi-Rezeption, den C. Fr. Zelter eine »pulverisierte Ästhetik« genannt hatte. Die starre Trennung von Elementarübungen und Liederkurs – einschließlich des Singeverbots vor Abschluß des sich über Jahre hinziehenden Elementarkurses – wurde zwar bald überwunden, es blieb aber bei der Tendenz zu immer neuen Varianten ›technischen‹ Drills, mit denen dürftig ausgebildete Lehrer den amtlichen Richtlinien gerecht zu werden suchten. Da der ästhetische Gewinn des Liederkurses schwer faßbar blieb, wurde vorwiegend an den jederzeit behördlich überprüfbaren Leistungen im Bereich der elementaren (›technischen‹) Fertigkeiten gearbeitet. »Stimmbildungs-,


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