also nicht, daß das Trainieren des Gedächtnisses
bis in das späte Mittelalter zu den wesentlichen Aufgaben der Schüler
gehörte und viele Zeitgenossen diese Fähigkeit wie schon in der
Antike durch die Einführung der häufig als Gottesgeschenk gepriesenen
Schrift gefährdet sah (Giesecke, 79), denn »das [Auswendig-]Lernen
forderte Herz und Sinne des Schülers mehr noch als seine Ausdauer und
seinen Verstand heraus.« (Fleischmann-Heck, 146)
Die Gründung der ersten Universitäten und die damit verbundene
zunehmende breitere Nachfrage nach Büchern führte schließlich
zu dem Beruf des kommerziellen Abschreibers. Anders als die Geistlichen in
ihren Klöstern bemühten sich nun ganze Schreibstuben um eine rasche,
weniger kunstvolle Vervielfältigung des vorliegenden Originals. Dazu
wurden die Bücher üblicherweise von den Bibliothekaren in wenige
numerierte Seiten – die sogenannten pecien
– zerlegt, welche auf diese Weise gezielt von mehreren Lohnschreibern kopiert
werden konnten (vgl. ebd., 155). Doch nicht nur im weltlichen Alltag
gewannen Bücher zunehmend an Bedeutung. Auch die Nachfrage der Kirche
nach kleineren, handlichen Meß- und Gesangbüchern stieg, angeregt
von der allgemein wachsenden Buchproduktion, stetig an.
2
Die Inkunabelzeit – Drucken im fünfzehnten Jahrhundert
Aus dieser Situation heraus entstanden die ersten Versuche, den Vervielfältigungsprozeß
kürzerer Texte mittels Holztafeldruck, der Xylographie
, zu beschleunigen. In aufwendiger Feinarbeit wurden die Wörter einer
Seite aus einer Lindenholztafel herausgeschält. Mit der resultierenden
»Druckplatte« konnte nun eine große Zahl identischer Seiten
gestempelt werden. Der Nachteil war jedoch offenkundig: Für umfangreichere
Bücher eignete sich diese Technik nicht, da der erforderliche Aufwand
in keinem günstigen Verhältnis zum erzielten Resultat stand. Fehler
in der Druckvorlage waren so gut wie nicht zu beheben und erzwangen in aller
Regel die vollständige Wiederholung der Arbeit. Die Qualität des
unausgewogenen Druckbildes konnte ebenfalls nur schwer mit den handschriftlichen
Exemplaren mithalten. Aufgrund der steigenden Nachfrage nach Büchern
auf kirchlicher, wissenschaftlicher aber auch privater Seite, die nur noch
unbefriedigend durch kommerzielle Abschreiber gedeckt werden konnte, lag der
Wunsch nach einer besseren Vervielfältigungsmethode in der Luft. So verwundert
es kaum, daß die Erfindung des Mainzer Johannes Gensfleisch, genannt
Gutenberg, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts als eine der
kostbarsten Gaben empfunden wurde. Seine Idee, für jeden Buchstaben einzelne
Metalltypen anfertigen zu lassen, die in einem Druckstock zu beliebigen Texten
zusammengesetzt werden
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