Martin Gieseking
Zur Geschichte des Notendrucks –
Ein Überblick1
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Bei diesem Aufsatz handelt es sich um
eine überarbeitete Fassung des Kapitels
»Überblick über die historische Entwicklung
des Notendrucks« aus Gieseking
(2001). |
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Von der Handschrift zum gedruckten Buch
»Es trübt die Augen, quetscht die Nieren und bringt zugleich allen
Gliedern Qual.« So beschrieb ein Mönch im Mittelalter die Nebenwirkungen
seiner Tätigkeit als Schreiber des Klosters St. Marienstern in Dresden
(vgl. Meckbach). Tatsächlich gehörte das Anfertigen neuer Bücher
zu den anstrengensten Arbeiten der Mönche und Nonnen, welche die gut
geplante und vorbereitete Teamarbeit mit großer Sorgfalt ausführen
mußten, denn zum einen war das Pergament ein zu kostbares Gut, um es
leichtfertig verschwenden zu können, und zum anderen erforderte die
Anfertigung einer Seite mit all ihren gleichförmigen Buchstaben, verzierten
Initialen und farbigen Illustrationen einen hohen Zeitaufwand, der ebenfalls
nicht durch fahrlässige Planungen verschenkt werden durfte. Immerhin
gelang es einem geübten Schreiber, drei bis sechs Seiten am Tag fertigzustellen
– die gesamte Abschrift des Neuen Testaments konnte somit etwa ein ganzes
Jahr in Anspruch nehmen (vgl. Meckbach). Um Papier zu sparen, skizzierten
viele Mönche den vom dictator vorgelesenen
Text auf Wachstafeln und übertrugen ihn erst nach sorgfältiger
Korrektur auf das Pergament. Die Wachstafeln konnten anschließend
wieder glattgerieben und erneut verwendet werden (vgl. Fleischmann-Heck, 145).
Auf diese Weise entstanden nach und nach kunstvolle, kostbare Unikate, die
allerdings oft nur von wenigen Gelehrten eingesehen werden durften.
Die mittelalterliche Gesellschaft war durch mündliche Kommunikation
geprägt. Hören, Gehorchen sowie Weitererzählen bildete die
Basis der Wissensvermittlung. Lediglich der Klerus war durch das kanonische
Recht zu Schreibkenntnissen angehalten, und so blieben die Klöster für
lange Zeit die einzigen Orte, an denen Schriftkundige anzutreffen waren.
Obwohl weder viele Adelige noch Bauern, Handwerker und Kaufleute zu diesen
literati zählten, galten sie dennoch nicht a priori als ungebildet,
denn sie konnten das Wissen allein durch Zuhören und Memorieren erfassen
und lernen. Es verwundert
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