- 305 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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und Akkordeon zunächst zwei verschiedene Klangwelten auf: Das Akkordeon wirkt im ersten Teil sehr statisch und rational und bildet durch seine Akkordik quasi das Fundament und möglicherweise sogar eine Art Korsett für die simultan sehr expressiv beginnende Violine. (Es soll an dieser Stelle keine genaue Analyse von Takten und Zählzeiten erfolgen, obgleich es sicherlich interessant wäre; dennoch soll hier ein wenig die Kompositionsstruktur dargelegt werden.) Dieses ungleiche Verhältnis, das durch die Satzstruktur ebenso ausgedrückt wird wie durch Melodik und Rhythmik, verkehrt sich innerhalb dieses ersten Stückes. Nach der gemeinsamen Introduktion ›reden‹ beide Instrumente abwechselnd miteinander und übernehmen dabei z.T. die Eigenschaften des anderen: In der Akkordeonstimme löst sich die rhythmische Starrheit nach und nach bis zur Destabilisierung durch Überbindungen im Baß auf, wohingegen sie in der Violinstimme zunächst zu-, dann aber wieder leicht abnimmt. Den Rahmen bildet erneut das simultane Spiel, welches das zuvor blockhafte Aufeinanderzubewegen und Auseinandersetzen mit dem anderen Partner einschließt. Das zweite Stück, das ein neues Thema vorstellt, schließt sich ohne Überleitung an das erste an. Es ist ebenfalls dreiteilig, unterscheidet sich aber im wesentlichen dadurch, daß hier nicht zwei Blöcke einander gegenüberstehen, sondern sehr stark ineinander verwoben sind und sich teilweise imitieren bis sie letztlich – zumindest für eineinhalb Takte – zur Homophonie gelangen. Diese Homophonie bildet den Beginn einer kurzen Entspannungsphase, die in einen extrem rhythmisch geprägten Teil überleitet. Hier attackieren sich Violine und Akkordeon heftig. Indem der wenige Takte später erklingende Cluster bereits rhythmisiert durch das Akkordeon vorweggenommen wird, erhöht sich die Spannung so stark, daß der oben angesprochene Cluster, der das dritte Stück einleitet, als Auf- bzw. Erlösung wirkt. Das dritte Stück bietet eine Art Reprisenerlebnis, das sich allerdings überwiegend auf die Akkordeonstimme bezieht. Die Violine spielt dazu eine tendenziell abwärts gerichtete Chromatik, die das Akkordeon als Überleitung zur Coda weiterführt. Die Coda greift die rhythmische Bestimmtheit der entsprechenden vorherigen Abschnitte auf, insbesondere die Synkopen, und kombiniert sie mit der Violinstimme neu. Der Schluß der Komposition zeigt die beiden Instrumente so verschieden wie der Anfang: Das rationale Prinzip des Akkordeons scheint gesiegt zu haben. Während das Akkordeon noch einmal akkordisch dominiert und in zwei simultan erklingende Tonarten mündet (G-/F-dur), endet die Violine nach mehrtaktigem Schweigen in einem vagierenden Akkord in e. Dadurch wirkt das Klangergebnis fragend: Die scheinbar siegende Ratio wird durch die Emotion in Frage gestellt.

Das gesamte Werk wirkt wie ein Ringen mit sich selbst – als ein Verarbeiten von Konflikten. Es drückt die Dualität des Menschen aus, die Diskrepanz


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