eine Anklage gegen das Vergessen der
Ereignisse um Auschwitz, das als Pars pro toto anzusehen ist. Das Leid, das
man den Menschen zugefügt hat, ist so unendlich groß, daß
»Tränenmeere« gefüllt sind, in denen sich »Kains-Mal«
spiegelt. Daran schließt sich ein Kyrie an, das zugleich Lobpreis Gottes
ist, indem seine Stärke, über Leid zu triumphieren, gepriesen wird.
Dem Herr, erbarme
Dich! folgt ein Wiegenlied, das die
Diskrepanz von Trauer und Liebe bzw. Geborgenheit beinhaltet und auf einen
ersten Höhepunkt des Werkes hinführt, das Gebet
Vater im Himmel. Hier werden Zuversicht, Geborgenheit und Liebe zu
Gott deutlich, die sich im weiteren konkretisieren. Desweiteren erscheint
hier erstmals das Wort »Liebe«. Diesem Satz folgt das Gedicht
Aus meiner Kindheit, das die Armut
des lyrischen Ichs beschreibt, indem Grundnahrungsmittel und Spielzeug kaum
vorhanden sind, stattdessen Hunger zu leiden ist. Die drei Aspekte, die hier
Kindheit ausmachen, lassen eine Parallele zum Ersten Brief an die Korinther
des Apostels Paulus erkennen (1 Kor 13,11), dessen Zitat am Schluß
des Werkes den Höhepunkt bildet. Das sich an das Gedicht erneut anschließende
Kyrie erhält nun in diesem Zusammenhang als Verbindung zum nachfolgenden
Gedicht Liebe nicht wiederum eher alt-, sondern
neutestamentlichen Bezug. Liebe verweist auf
den Neuen Bund und Liebe in dreifacher Hinsicht: zum einen auf die unaufhörliche
Liebe Gottes zu den Menschen (Str. 1), zum anderen auf die Liebe der Menschen
zu Gott (Str. 2) und untereinander im Sinne der Nächstenliebe (Str.
3). Das abschließende Gebet Jesus, mein
Retter, das wie alle Gebete dieses Werkes
ebenfalls durchkomponiert ist, ist eine Art Glaubensbekenntnis im paulinischen
Sinne: Annerkennung des Evangeliums und der Kreuzestheologie als Ausdruck
des Glaubens und der eschatologischen Hoffnung. All dies ist im Höhepunkt
des Werkes, dem abschließenden Zitat aus 1 Kor 13,13, vereint: »Nun
aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die
größte unter ihnen.« Dies wird nicht nur theologisch durch
die starke Hinführung zur Liebe, sondern auch tonmalerisch verdeutlicht,
indem dem Wort Liebe der höchste Ton des Satzes zugedacht wird. Ferner
erfolgen drei Tonrepetitionen und ein daran anschließender Septimsprung
zum höchsten Ton des Satzes. Die obige Analyse zeigt, daß das
Werk Herr, wir rufen alle Dich eine Komposition
im doppelten Sinne ist: sowohl eine musikalische als auch eine theologische.
Eine andere Komposition, die den Titel Danse fatale (1991) trägt (UA 1999 in Wuppertal), ist für Violine und Akkordeon geschrieben. Danse fatale ist ebenfalls eine Bereicherung für die Akkordeonliteratur, nicht nur, weil es nicht allzu viele Werke für diese Besetzung gibt, sondern wegen seiner kompositorischen Qualität. Brunhilde Sonntag behandelt beide Instrumente als selbständige Solisten, die gegen-, aber auch miteinander spielen. In dem Werk, das man auch als Triptychon bezeichnen könnte, bauen Violine |