- 304 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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eine Anklage gegen das Vergessen der Ereignisse um Auschwitz, das als Pars pro toto anzusehen ist. Das Leid, das man den Menschen zugefügt hat, ist so unendlich groß, daß »Tränenmeere« gefüllt sind, in denen sich »Kains-Mal« spiegelt. Daran schließt sich ein Kyrie an, das zugleich Lobpreis Gottes ist, indem seine Stärke, über Leid zu triumphieren, gepriesen wird. Dem Herr, erbarme Dich! folgt ein Wiegenlied, das die Diskrepanz von Trauer und Liebe bzw. Geborgenheit beinhaltet und auf einen ersten Höhepunkt des Werkes hinführt, das Gebet Vater im Himmel. Hier werden Zuversicht, Geborgenheit und Liebe zu Gott deutlich, die sich im weiteren konkretisieren. Desweiteren erscheint hier erstmals das Wort »Liebe«. Diesem Satz folgt das Gedicht Aus meiner Kindheit, das die Armut des lyrischen Ichs beschreibt, indem Grundnahrungsmittel und Spielzeug kaum vorhanden sind, stattdessen Hunger zu leiden ist. Die drei Aspekte, die hier Kindheit ausmachen, lassen eine Parallele zum Ersten Brief an die Korinther des Apostels Paulus erkennen (1 Kor 13,11), dessen Zitat am Schluß des Werkes den Höhepunkt bildet. Das sich an das Gedicht erneut anschließende Kyrie erhält nun in diesem Zusammenhang als Verbindung zum nachfolgenden Gedicht Liebe nicht wiederum eher alt-, sondern neutestamentlichen Bezug. Liebe verweist auf den Neuen Bund und Liebe in dreifacher Hinsicht: zum einen auf die unaufhörliche Liebe Gottes zu den Menschen (Str. 1), zum anderen auf die Liebe der Menschen zu Gott (Str. 2) und untereinander im Sinne der Nächstenliebe (Str. 3). Das abschließende Gebet Jesus, mein Retter, das wie alle Gebete dieses Werkes ebenfalls durchkomponiert ist, ist eine Art Glaubensbekenntnis im paulinischen Sinne: Annerkennung des Evangeliums und der Kreuzestheologie als Ausdruck des Glaubens und der eschatologischen Hoffnung. All dies ist im Höhepunkt des Werkes, dem abschließenden Zitat aus 1 Kor 13,13, vereint: »Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.« Dies wird nicht nur theologisch durch die starke Hinführung zur Liebe, sondern auch tonmalerisch verdeutlicht, indem dem Wort Liebe der höchste Ton des Satzes zugedacht wird. Ferner erfolgen drei Tonrepetitionen und ein daran anschließender Septimsprung zum höchsten Ton des Satzes. Die obige Analyse zeigt, daß das Werk Herr, wir rufen alle Dich eine Komposition im doppelten Sinne ist: sowohl eine musikalische als auch eine theologische.

Eine andere Komposition, die den Titel Danse fatale (1991) trägt (UA 1999 in Wuppertal), ist für Violine und Akkordeon geschrieben. Danse fatale ist ebenfalls eine Bereicherung für die Akkordeonliteratur, nicht nur, weil es nicht allzu viele Werke für diese Besetzung gibt, sondern wegen seiner kompositorischen Qualität. Brunhilde Sonntag behandelt beide Instrumente als selbständige Solisten, die gegen-, aber auch miteinander spielen. In dem Werk, das man auch als Triptychon bezeichnen könnte, bauen Violine


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