- 295 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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statt Diatonik und den Einzelton- anstelle der Standardbässe liegen mag (vgl. auch Dunkel und Atlas). Allerdings hat sich bereits Peter Tschaikowsky mit dem Akkordeon beschäftigt und es in seine 1884 abgeschlossene zweite Orchester-Suite op. 53 aufgenommen. Hier spielt im dritten Satz, dem Scherzo burlesque, ein Akkordeon-Quartett. Fernerhin ist ein Stück im Rahmen des Jugend-Albums, op. 39 dem Akkordeon gewidmet, wenngleich es für Klavier geschrieben und im traditionell einfachen und bekannten Sinne verwendet wird, wie die Überschrift zeigt: Das Lied des Bauern erhält als Untertitel Der Bauer spielt Harmonika (vgl. Tschaikowsky, 18). Erst 1927 (Werner Zintgraf behauptet 1928. [ebd, 7]), also 105 (!) Jahre nach der Erfindung des Akkordeons, entstand durch Hugo Herrmann auf Initiative Ernst Hohners die erste ›seriöse‹ Originalmusik für Akkordeon-Solo. Hugo Herrmann (1896–1967), zunächst Volksschullehrer, absolvierte später Kompositionsstudien bei O. Schröter, F. Schreker und W. Gmeindl, arbeitete mit Paul Bekker am Staatstheater Wiesbaden zusammen, war mehrfach an den Donaueschinger Musiktagen als Komponist und Programmdirektor beteiligt (weitere Informationen sind dem Artikel Herrmann, Hugo im MGG [vgl. o.], dem Riemann Musiklexikon sowie der ihm gewidmeten Festschrift von Armin Fett zu entnehmen) und setzte sich für eine systematische Akkordeonlehrerausbildung sowie für das Entstehen neuer Akkordeonwerke bei seinen Komponistenkollegen ein. Er komponierte die Sieben neuen Spielmusiken, die in ihrer kompositorischen Anlage, gemessen am Stil der Zeit, eher traditionell als fortschrittlich sind und auch in ihren Satzbezeichnungen auf die tonale Vergangenheit verweisen. So ist der erste Satz überschrieben Wie ein Präludium , das auf das barocke Zeitalter verweisen soll. Weitere Titel sind z.B. Serenade oder Lied ohne Worte, was eine Anspielung an die Romantik, insbesondere an die von Felix Mendelssohn Bartholdy begründete Gattung der Lieder ohne Worte darstellt. Dennoch ist dieses Werk die Errungenschaft, die den heutigen Gebrauch des Akkordeons in der zeitgenössischen Musik erst denkbar macht, obgleich die Literatur aus heutiger Sicht nicht schwer erlernbar ist und z.B. im Rahmen des Lehrplans der Musikschule Witten, basierend auf den Richtlinien des Verbandes Deutscher Musikschulen, im vierten Unterrichtsjahr erarbeitet werden sollte. Bezieht man aber die Maßstäbe der oben angesprochenen Akkordeonschulen ein, so dürfte schnell deutlich werden, warum die Sieben neuen Spielmusiken zunächst als unspielbar galten und erst 1929 durch Hermann Schittenhelm, der mit Hugo Herrmann eine methodische Spieltechnik für die diatonische und chromatische Handharmonika entwickelte und das Akkordeon mit ihm beim Rundfunk einführte, uraufgeführt wurden. Obgleich das Werk auch volkstümliche Elemente, wie z.B. Marsch oder Ländler enthält, wurde es von den durch Volksmusik geprägten Akkordeonhörern und -spielern als zu

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