- 294 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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dieses eine durchaus schöpferische Auseinandersetzung zwischen Instrument und Literatur ist, die Erfordernisse an Instrument wie Ausführende stellt, kann hier nicht der Lösungsansatz sein. Daß dies jedoch nicht allein ein Problem der Akkordeonisten, sondern eines der Musikgeschichte allgemein ist, zeigt die Aufarbeitung Silke Leopolds. Für jedes Instrument gibt es gute und weniger gute Literatur, dennoch hat diese Tatsache nicht bei allen Instrumenten einen so großen Einfluß wie beim Akkordeon. Ein ausschlaggebender Aspekt dafür dürfte bei der Unterrichtsliteratur liegen, die den Weg eines Schülers auf vielfältigste Weise mitbestimmt, bevor er konzertante bzw. zeitgenössische Musik spielt. Gibt es für das Klavier z.B. ein Album für die Jugend von Schumann und Tschaikowsky, so sucht man bei gleichen qualitativen Maßstäben in der Akkordeonliteratur vergeblich danach, obgleich inzwischen sehr viel neuere Unterrichtsliteratur entstanden ist.

Das Akkordeon wurde in den ersten Jahren nach seiner Erfindung ohne jegliche musikalisch technische Grundlage erlernt. Einen ersten Versuch der Disziplinierung des ›wilden Spiels‹ unternahm Adolph Müller mit seiner 1834 herausgegebenen Akkordeonschule Vollständige Anleitung, das Accordion in kurzer Zeit richtig spielen zu erlernen. Hier und in weiteren Akkordeonschulen (z.B. Gründlicher Unterricht, das Akkordeon in kurzer Zeit ohne aller musikalischer Vorkenntnisse spielen zu lernen [1834, Verfasser unbekannt]; Ruediger, Fr.: Die Kunst, in einer Stunde auf dem Accordion ohne Lehrer und ohne Notenkenntnisse ein Stück spielen zu lernen [1844]; Zimmermann, Carl: Anweisung, das 40tönige Accordion zu spielen, auch von diejenigen, welche die Noten nicht kennen [1850]) sowie im Patent Demians (»Mit Hilfe eines Blasebalges, der an besagter Schachtel befestigt ist und von 5 Tasten, die an der Unterseite befestigt sind, kann selbst ein der Musik Unkundiger nach kurzen Übungen die charmantesten und ergreifendsten Akkorde von 3, 4 oder 5 Tönen zu Gehör bringen.« (Demian zitiert nach Graf, 298)) wird eine schnelle Erlernbarkeit des Instruments ohne Vorkenntnisse suggeriert, ein Ruf, der dem Akkordeon bis heute vielfach nachreicht. Dabei erhebt der Titel gleichzeitig den Anspruch einer Parallele zu Carl Philipp Emanuel Bachs Lehrwerk Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen. So wie Bach diesem Werk 18 Probestücke in 6 Sonaten beifügt, finden sich im Anhang der Akkordeonschulen Volkslieder, Potpourris oder Etüden mit unterhaltendem Charakter. Damit wird frühzeitig eine Richtung sowohl hinsichtlich des Literaturgenres als auch der technischen Ansprüche (leichte Erlernbarkeit) geprägt. Diese Art des Akkordeonlernens und -spielens bleibt für das restliche 19. Jahrhundert erhalten. Die später entstandene Englische Concertina war dahingehend ›fortschrittlicher.‹ Sie war schon um 1850 in englischen Konzertsälen integriert und wurde nicht nur mit Virtuosenliteratur bedacht, was unter anderem an ihrer Chromatik


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