- 291 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Eine zweite Entwicklungslinie der Durchschlagzunge in Europa führt über eine 1636 in Harmonie Universelle abgebildete Khaen, einer aus Laos und Thailand stammenden und der chinesischen Sheng verwandten Mundorgel, die sich im »Raritäten-Kabinett des Kardinals Francesco Barberini« befand (vgl. Ahrens, 1).

Um 1770 wurde mit der Durchschlagzunge vermehrt experimentiert, vor allem in Kopenhagen, Stockholm und St. Petersburg. In Kopenhagen baute der Philosoph und Mediziner Christian-Theophil Kratzenstein die Durchschlagzunge 1779/80 in eine Maschine ein, um menschliche Sprachlaute zu imitieren (vgl. Ahrens, 7). Der Orgelbauer Franz Kirsnick übertrug das Kratzensteinsche Prinzip auf die Orgel. Abbé Vogler übernahm das 1790 – unter Mithilfe des Orgelbauers Rackwitz – wiederum in sein Orchestrion und sorgte für die weitere Verbreitung der Durchschlagzungenregister (Ahrens, 11; 13).

Die Trennung von der Orgelgeschichte erfolgt 1806 durch die Erfindung der Aeoline durch Bernhard Eschenbach und Kaspar Schlimmbach, die die Stimmzunge als Klangerreger und -abstrahler nutzten. Auf diesem Prinzip baut auch die Physharmonika Anton Haeckels auf (vgl. Richter, 18f). Bei der Namensgebung ›Aeoline‹ orientierte sich der Erfinder an der ›Violine‹ (vgl. Ahrens, 10).

In der einschlägigen Literatur (vgl. auch Literaturverzeichnis) wird der Thüringer Christian Friedrich Ludwig Buschmann als Erfinder der Mundharmonika genannt. Sie sollte als Stimmhilfe für Orgeln und Klaviere dienen. Ein Jahr später, 1822, entwickelt er dieses Werkzeug weiter, indem er es mit einem Lederbalg und mit Ventilen ausstattete und durch eine Art Spieltastatur ergänzte. Dieses Instrument nannte sich Handaeoline.

Als Erfinder des Akkordeons ist heute aber eher Cyrill Demian bekannt, der 1829 in Wien auf seine Erfindung das Patent angemeldet hat: ein einreihiges diatonisches Knopfinstrument mit fünf Knöpfen (Tonumfang c 1 bis e2) und zwei Bässen: Auf Druck erklingt G-, auf Zug C-dur. Der Balg wurde mit der rechten (!) Hand bewegt. Bis 1831 hatte es Demian selbst vervollkommnet, so daß auch eine Baßtonleiter und in der rechten Hand alle Halbtöne spielbar waren. Da 1834 sein Patent erlosch, bauten nun viele Firmen Akkordeons – teilweise bis zu 500 allein in Wien. Wien wurde so zu einem ersten Fertigungszentrum für diese Instrumente (vgl. Richter, 21ff). 1873 wurden allein von einer Firma 200.000 Handharmonikas hergestellt. Nach und nach wurde das Spiel in verschiedenen Tonarten durch Hinzufügen einer zweiten und dritten Knopfreihe bzw. durch Verschiebungen – einer Vorform der Register – ermöglicht. Da die Wiener Instrumentenbauer aber keine maschinelle Produktion vornahmen, wurden ihre Instrumente im Vergleich zu anderen noch später entstehenden Zentren zu teuer.


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