- 252 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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An anderer Stelle spricht Schnittke explizit von »vier Glaubensbekenntnissen«, die er stilistisch mit Anklängen an den altrussischen Zeichengesang (Znamenyj raspev), an den lutherischen und den gregorianischen Choral sowie an den jüdischen Synagogalgesang verbinden wollte.5

5 Ebd., S. 89
Daß die Rosenkranz-Idee als ein inneres Programm der Symphonie fungiert und darüber hinaus die Formbildung prägt, hat Schnittke ausführlicher in seinen Gesprächen mit Alexander Iwaschkin dargelegt.6
6 Alfred Schnittke: Über das Leben und die Musik. Gespräche mit Alexander Iwaschkin, deutsch von Irene Ueberwolf, Düsseldorf 1998, S. 89 – im weiteren als Iwaschkin (russische Ausgabe, Moskau 1994).
Schnittkes Erläuterungen zum zweiten Violinkonzert7
7 Das Werk ist kammermusikalisch besetzt, jeweils ein Holzbläser und ein Blechbläser, ohne Tuba, Schlagzeugpart (zwei Spieler), Klavier und insgesamt zwölf Streicher; die Uraufführung fand am 20. Februar 1968 in Leningrad statt.
lauten:

»Aus dem Konzept des Werkes (die Darstellung des Evangeliums) ergibt sich eine bestimmte Klangfarbendramaturgie: Solist und Streicher (Jesus und seine Jünger) werden linear-thematisch behandelt, Bläser und Schlagzeug (feindselige Menge, Kriegsknechte) aggressiv punktuell oder aleatorisch. Der Kontrabaß (Judas) hat die besondere Rolle eines karikierenden ›Antisolisten.‹«  (Festschrift, S.  94)

Ein Instrumentalkonzert als Evangelium-Exegese – dies öffentlich zu formulieren, wäre in der Sowjetunion der späten 1960er Jahre undenkbar gewesen. Was die sowjetischen Hörer und Komponistenkollegen an dem Werk wahrnahmen und was sie begeisterte, fassen Valentina Cholopowa und Jewgenija Tschigarjowa8

8 Valentina Cholopowa und Jewgenija Tschigrajowa: Alfred Schnittke. Skizze des Lebens und Schaffens, russ. Moskau 1990, S. 47f. – im weiteren als Cholopowa und Tschigrajowa.
mit vollmundigen Worten zusammen, wobei sie die programmatische Idee genau beschreiben, ohne sie zu konkretisieren:

»Das zweite Konzert mit seiner starken, gehaltvollen Konzeption besitzt eine äußerst scharfe Dramaturgie, eine theatralische Anschaulichkeit der Bilder, so daß die Instrumente zu Bühnenhelden werden. Die Konzeption, die durch die brennende Expressivität des zweiten Konzerts zum Vorschein kommt, bewegt sich im Kreis der ewigen Themen der Kunst: die große Tat, Opfern, Leiden, Verrat, Prüfung, Katastrophe, das Wiederfinden noch größerer Kräfte und die erneute Bereitschaft zur Tat.«

Eine solche Programmatik umschreibt exakt das Ideal sowjetischer Musik; entsprechend häufig ist dieses Konzert Gegenstand musikwissenschaftlicher Arbeiten geworden, es galt als so vorbildlich, daß es sogar ins Lehrprogramm aufgenommen wurde.9

9 Darauf weisen Cholopowa und Tschigrajowa ausdrücklich hin und nennen eine ganze Reihe von Publikationen (S. 47); außerdem zitieren sie Kommentare aus der Diskussion über das Werk beim Komponisten-Verband (S. 51).

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