Dorothea Redepenning
Religiöse Vorstellungen und Themen in
Alfred Schnittkes Instrumentalmusik
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1 Russische Namen werden
der leichteren
Lesbarkeit halber in der deutschen phonetischen
Umschrift wiedergegeben; die international und
auch in deutschen Bibliotheken gebräuchliche
wissenschaftliche Transliteration ist über
Wörterbücher erschließbar. Bei Frau Viktoria
Pavlova bedanke ich mich herzlich
für ihre Hilfe
bei der Übersetzung der kirchenslawischen
Texte. |
Daß Alfred Schnittke (1934–1998)2
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Die Zeitschrift MusikTexte hat aus Anlaß des Todes des Komponisten
ein Schnittke-Heft herausgebracht, Heft 78, März 1999, S. 27–58.
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praktizierender Katholik war, ist aus zahlreichen Äußerungen
des Komponisten bekannt; ebenso weiß man, daß er bereits zu sowjetischen
Zeiten liturgische Texte vertont hat – in seinem
Requiem (1975) und in seiner zweiten Symphonie mit dem Untertitel
St. Florian (1979), der das lateinische Meßordinarium zugrunde
liegt. In welchem Maß religiöse Vorstellungen und Symbole auch
in textloser Musik eine Rolle spielen, zeigen beispielsweise die vierte Symphonie
(1984) oder das zweite Violinkonzert (1966). Die vierte Symphonie3
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Das Werk ist wahlweise mit Kammerorchester und Solostimmen oder mit
großem Orchester, Chor und Solisten besetzt; die Vokalpartien sind
textlos; Uraufführung der großen Fassung am 12. April 1984, der
Kammerfassung am 16. März 1986, jeweils in Moskau. |
könnte man ›ökumenisch‹ nennen; denn hier geht es Schnittke um
die Verschmelzung der vier christlichen Glaubensrichtungen, der jüdischen,
der katholischen, der orthodoxen und der protestantischen, verknüpft
über die Idee des Rosarium, wie er 19884
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Zit. nach Alfred Schnittke zum 60. Geburtstag – Eine Festschrift,
hrsg. vom Sikorski-Verlag, Hamburg 1994, S. 88f. – im weiteren als
Festschrift. |
in einem Interview mit dem sowjetischen Rundfunk sagte:
»Das Programm bezieht sich auf den Rosenkranz, im katholischen
Verständnis all dessen, was da geschieht.
Dreimal fünf, das heißt
fünf glückliche, fünf tragische und fünf Wunderepisoden
aus dem Leben der Mutter Gottes. Diese
Episoden enthalten im großen und
ganzen auch das gesamte Leben Jesu Christi, doch wir nehmen es
nicht über ihn wahr, sondern über Maria.
Außerdem hatte ich eine rein musikalische
und darüber hinaus eine ästhetische Aufgabe: Die
Darstellung des Zusammenwirkens der drei Linien des Christentums
und ihrer gemeinsamen Quelle, des Alten Testaments.«
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