- 25 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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der Unterhaltungsbranche vertraut war, zeigt deutlich, wie sehr sich sein musikalischer Lebensweg signifikant von dem Gottfried von Einems unterschied: War dessen musikalische Sozialisation vornehmlich durch Werke des traditionellen klassisch-romantischen Konzert- und Opernrepertoires geprägt, so hatte hingegen der in China als Sohn deutsch-baltischer Eltern russischer Staatsangehörigkeit geborene Boris Blacher seit Kindertagen eine international gemischte Palette populärer Gebrauchs- und Unterhaltungsmusik kennengelernt.

In seiner autobiographischen Skizze Damals in Chefoo hat Blacher anhand konkreter Beispiele seine Begegnung mit der damaligen, nach dem Boxeraufstand europäisierten Musikszene der an der Südküste des Gelben Meeres liegenden chinesischen Hafenstadt Tschifu, in der er von 1908 bis 1913 aufwuchs, anschaulich beschrieben.4

4 Vgl. Boris Blacher, Damals in Chefoo , in: Hans Heinz Stuckenschmidt, Boris Blacher. Mit einer autobiographischen Skizze Damals in Chefoo und einem vollständigen Werkverzeichnis, hg. v. Harald Kunz, Berlin/Wiesbaden 1985, 12.
Musikalische Ereignisse gingen dabei zeitweilig mit den politischen einher. Blacher wurde bereits während der Schulzeit mit politischen Wandlungsprozessen konfrontiert, in die sein Vater Eduard Blacher, ein aus Revaler Kleinadel stammender Bankdirektor, als russischer Reserveoffizier unmittelbar involviert war.5
5 Blacher, Neuland Rhythmus, a.a.O., 407-408.
In Charbin, damals ein Kulturzentrum des fernen Ostens, bot sich Blacher im Anschluß die Möglichkeit, seine mittlerweile erworbenen musiktheoretischen Kenntnisse zu vertiefen und praktisch umzusetzen, denn der Chef eines 1919 gegründeten Emigranten-Orchesters benötigte für seine Arbeit Orchesterpartituren und, so erinnert sich Blacher (a.a.O.), »weil mein Vater ihn dazu auserkoren hatte, daß er mein Musiklehrer würde, stellte er mir die Aufgabe, bekannte Sinfonien, die es nur in Form von Klavierauszügen gab, nicht aber in der Partitur, zu instrumentieren. Aus diesem Anlaß habe ich beispielsweise Puccinis Tosca neu instrumentiert. Viel später erst habe ich die Originalfassung gehört. Das passierte in Berlin. Ich hatte meine Puccini-Fassung noch im Ohr. Ich war in Berlin sehr erstaunt über Puccini – meine Fassung klang eher nach Tschaikowski.«

Die in Blachers Instrumentation der Puccini-Oper erkennbare Affinität zur russischen Musik war hinsichtlich seiner musikalischen Ausbildung erklärlich. Der junge Boris hatte in Irkutsk mit einem ehemaligen Schüler Anatol Ljadows im Theorie- und Harmonielehreunterricht – wie gesprächsweise mitgeteilt – »nach der akademischen Art Rimsky-Korssakows« gearbeitet.6

6 Wolf-Eberhard von Lewinski, Boris Blacher: Die Zeit – das unbarmherzig Maß [Interview], in: Musica 29. Jg. (1975), Heft 3, 216.

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