der Unterhaltungsbranche
vertraut war, zeigt deutlich, wie sehr sich sein musikalischer Lebensweg
signifikant von dem Gottfried von Einems unterschied: War dessen musikalische
Sozialisation vornehmlich durch Werke des traditionellen klassisch-romantischen
Konzert- und Opernrepertoires geprägt, so hatte hingegen der in China
als Sohn deutsch-baltischer Eltern russischer Staatsangehörigkeit geborene
Boris Blacher seit Kindertagen eine international gemischte Palette populärer
Gebrauchs- und Unterhaltungsmusik kennengelernt.
In seiner autobiographischen
Skizze Damals in Chefoo hat Blacher anhand
konkreter Beispiele seine Begegnung mit der damaligen, nach dem Boxeraufstand
europäisierten Musikszene der an der Südküste des Gelben Meeres
liegenden chinesischen Hafenstadt Tschifu, in der er von 1908 bis 1913 aufwuchs,
anschaulich beschrieben.4
4
Vgl. Boris Blacher, Damals in Chefoo
, in: Hans Heinz Stuckenschmidt, Boris
Blacher. Mit einer autobiographischen Skizze
Damals in Chefoo und einem vollständigen Werkverzeichnis, hg.
v. Harald Kunz, Berlin/Wiesbaden 1985, 12. |
Musikalische Ereignisse gingen dabei zeitweilig mit den politischen einher.
Blacher wurde bereits während der Schulzeit mit politischen Wandlungsprozessen
konfrontiert, in die sein Vater Eduard Blacher, ein aus Revaler Kleinadel
stammender Bankdirektor, als russischer Reserveoffizier unmittelbar involviert
war.5
5
Blacher, Neuland Rhythmus, a.a.O.,
407-408. |
In Charbin, damals ein Kulturzentrum des fernen Ostens, bot sich Blacher
im Anschluß die Möglichkeit, seine mittlerweile erworbenen musiktheoretischen
Kenntnisse zu vertiefen und praktisch umzusetzen, denn der Chef eines 1919
gegründeten Emigranten-Orchesters benötigte für seine Arbeit
Orchesterpartituren und, so erinnert sich Blacher (a.a.O.), »weil mein
Vater ihn dazu auserkoren hatte, daß er mein Musiklehrer würde,
stellte er mir die Aufgabe, bekannte Sinfonien, die es nur in Form von Klavierauszügen
gab, nicht aber in der Partitur, zu instrumentieren. Aus diesem Anlaß
habe ich beispielsweise Puccinis Tosca neu
instrumentiert. Viel später erst habe ich die Originalfassung gehört.
Das passierte in Berlin. Ich hatte meine Puccini-Fassung noch im Ohr. Ich
war in Berlin sehr erstaunt über Puccini – meine Fassung klang eher
nach Tschaikowski.«
Die in Blachers Instrumentation
der Puccini-Oper erkennbare Affinität zur russischen Musik war hinsichtlich
seiner musikalischen Ausbildung erklärlich. Der junge Boris hatte in
Irkutsk mit einem ehemaligen Schüler Anatol Ljadows im Theorie- und
Harmonielehreunterricht – wie gesprächsweise mitgeteilt – »nach
der akademischen Art Rimsky-Korssakows« gearbeitet.6
6
Wolf-Eberhard von Lewinski, Boris Blacher:
Die Zeit – das unbarmherzig Maß
[Interview], in: Musica 29. Jg. (1975), Heft 3, 216. |
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