- 24 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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im Auge hat. Gottfried von Einem war damals auch erst Neuling im Unterrichten, von seinem Lehrer B.[oris] Blacher animiert, eine Dozentur an der Hochschule anzunehmen. Vielleicht war er selbst noch unsicher, ganz sicher aber außergewöhnlich in dem, was er von seinen Schülern forderte. Er hat es wunderbar gemacht.«

Die Toleranz und der Respekt vor der künstlerischen Eigendynamik und dem persönlichen Ausdruckswillen seiner Schüler hat Gottfried von Einem fortwährend und emphathisch als Signum seines eigenen Unterrichts bei Boris Blacher hervorgehoben. Es war daher naheliegend, daß von Einem den undogmatischen und daher als vorbildlich angesehenen pädagogischen Ansatz Blachers selbst adaptieren würde, als er 1963 auf Drängen und Vermittlung seines ehemaligen Lehrers eine Professur für Komposition an der Musikhochschule in Wien übernahm, wo er bis 1972 lehrte. Daß von Einem dabei das handwerkliche Fortschreiten unter Wahrung der künstlerischen Individualität im Kontext eines weiten Spektrums von Kultur und Gesellschaft anstrebte – wie in Sonntags Zeugnis bekundet – zeigt deutlich, wie sehr der einstige Blacher-Schüler sich seinem Lehrervorbild verpflichtet fühlte. In einem Beitrag zu einer Umfrage von Karl Heinz Füssl2

2 Lehren und Lernen, in: Österreichische Musikzeitschrift 42. Jg. (1987), Heft 12, 583f.
führte er aus:

»Ich habe immer nur frei vorgetragen, nie nach irgendwelchen Büchern, wohl aber unter Zuhilfenahme von Partituren. Jeder Schüler ist anders, ich erteilte daher stets Einzelunterricht. Man muß zunächst einmal feststellen: Wer ist der Betreffende? Danach und nach Kenntnisnahme der Arbeiten des Schülers wird der Unterricht eingerichtet. Man muß Aufgaben stellen, die nicht über das hinausgehen, was der Schüler noch nicht kann, die aber dennoch etwas verlangen, was er noch nicht gemacht hat, wovon ich aber den Eindruck gewonnen habe, daß er es bereits beherrscht. Man muß also gewissermaßen Stücke in Auftrag geben, die die nächste Stufe markieren, die der Schüler mit diesen Stücken erreichen soll.«

Sind die Ursprünge von Einems pädagogisch-kompositorischen Wirkens offenkundig in der bereits 1941 ihren Anfang nehmenden Begegnung mit Boris Blacher zu suchen, gilt es demnach eingehender dem zeitgeschichtlichen Bedingungsgefüge wie auch den konkret musikalisch prägenden Momenten dieser Beziehungskonstellation nachzuspüren, die nachhaltig auch das Wirken der kompositorischen ›Enkelgeneration‹, respektive das Schaffen Brunhilde Sonntags, beeinflußt haben. Blacher selbst hat seinen Eindruck von der ersten Begegnung mit Gottfried von Einem im Zusammenhang mit seiner damaligen Berufssituation als Kompositionslehrer beschrieben und damit gleichsam die unterschiedlichen musikalischen Orientierungspunkte veranschaulicht.3

3 Boris Blacher, Neuland Rhythmus, in: Josef Müller-Marein/Hannes Reinhardt (Hrsg.), Das musikalische Selbsportrait, Hamburg 1963, 412.
Schon der Umstand, daß Blacher mit dem musikalischen Metier

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