- 243 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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und Verfasser des ersten polnischen Buches zu Neuen Musik: Nowa muzyka (Kraków: PWM 1958), der später entgegengesetzte neoromantische Wege einschlagen wird. Tertium datur lautete der bezeichnende Titel seines 1960 aufgeführten Kammerwerks für Cembalo und Instrumente.

2 Tertium datur oder: Musik in der Katakombe

Vielleicht nicht überflüssig zu erwähnen wäre, daß auch im Ausland lebende polnische Komponisten nicht jene Ausgrenzung erfuhren, wie sie in anderen sozialistischen Ländern obligatorisch war: laut den Programmen fanden auch Alexander Tansman, Constantin Regamey, Roman Maciejewski oder Roman Haubenstock-Ramati im Vaterland Gehör. Und wichtig zu wissen wäre, daß es neben »offiziellen« im Programm vermerkten Aufführungen weitere »inoffizielle« gab bzw. geben mußte. Der Grund lag, im Westen wenig bekannt, in der sowjetischen Regelung, daß ein Werk nicht einfach aufgeführt werden durfte, sondern zur öffentlichen Aufführung eine Genehmigung seitens des Komponistenverbandes benötigte, die in der Regel nach einer verbandsinternen Anhörung erteilt oder auch nicht erteilt wurde. Selbst einem Dimitri Schostakowitsch wurde sie oft und lange genug verweigert. Ungenehmigte Aufführungen waren demnach illegal und brachten dem Komponisten Unannehmlichkeiten, die bis zu Ausschlüssen aus dem Verband und damit zum Berufsverbot führen konnten – ein solches drohte seinerzeit Edison Denissow, unter faktischem Berufsverbot emigrierten noch in den 80-er Jahren Viktor Suslin und Arvo Pärt. Legal und rechtens waren jedoch nach diesen Regelungen verbandsinterne Aufführungen zwecks Begutachtung und Diskussion im Kollegenkreis.

Der Polnische Komponistenverband verstieß also nicht gegen innersozialistische Regeln, wenn er Arbeiten der sowjetischen Kollegen in geschlossenen Veranstaltungen des Verbandes präsentierte, denn das war keine öffentliche Aufführung. Für diese »musikalischen Privataufführungen« warb er in Handzetteln und lud dazu ein, wer immer Lust hatte zu kommen. Bei einem solchen »Katakombenkonzert« im Jahre 1967 habe ich den im Westen damals noch kaum bekannten Komponisten Alfred Schnittke kennengelernt sowie Werke der noch völlig unbekannten sowjetischen Avantgarde, darunter Denissows faszinierende Sonne der Inkas, in der die russische Sprache einen ganz neuen Klang gewann, Werke der Kiewer Zwölftonkomponisten Valentin Silwestrow, Leonid Grabowski und Vitali Godziacki, von Alemdar Karamanow und Alfred Schnittke selbst, der es irgendwie fertiggebracht hatte, den Warschauer Herbst als Tourist zu besuchen. Nicht gelungen war dies Edison Denissow, jedoch aber seiner Frau, und sie verteilte Partituren und Bandumschnitte


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