- 241 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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auch der weiter entfernten westlichen eine Endstation von Sehnsüchten, und auch die subventionierenden Außenministerien der westlichen Nationen begriffen sehr rasch, daß ihre Budgets für auswärtige Kulturpolitik in Gastspielen beim Warschauer Herbst recht gut angelegt waren. (Die Kulturministerien der sozialistischen Nachbarländer begriffen dies erst später.)

Von allem Anfang an war für die zwölfköpfige Programmkommission des Warschauer Herbstes, die aus Komponisten und Musikwissenschaftlern besteht, ein voraussetzungsloser Weitblick in stilistischer wie geographischer Hinsicht verpflichtend. Wenn am Anfang ihres Konzepts der Nachholbedarf an elementaren musikalischen Informationen stand, die von kunstfeindlichen Diktaturen bis dahin unterdrückt worden waren, so glich diese Voraussetzung zunächst durchaus derjenigen, unter welcher die Stiftung GAUDEAMUS gleich nach dem Krieg oder die Darmstädter, zunächst Kranichsteiner Ferienkurse für Neue Musik bald danach zustande gekommen waren. Doch während im Westen die Neue Musik noch lange Zeit als Angelegenheit eingeweihter Expertenkreise galt, entwickelte in Warschau von Anfang an ein ganzes Musikvolk aktive Neugier auf die ihm bisher verbotenen Früchte.

Dazu gehörten im ersten Festspieljahr 1956 sogar Richard Strauss’ Till Eulenspiegels lustige Streiche und Igor Strawinskys Feuervogel, Feuerwerk, Ebony Concerto, Petruschka und Le Sacre du printemps, Arthur Honeggers 2. Sinfonie für Streichorchester, seine Sonatine für 2 Violinen und Pacific 231 , Sinfonien von André Jolivet und Henri Dutilleux, Bela Bartóks Konzert für Orchester, 5. Streichquartett und 44 Duette für Violinen, Bohuslav Martinus 3. Sinfonie und Sonatine für 2 Violinen und Klavier, Arnold Schönbergs Klavierkonzert op. 42, Alban Bergs Lyrische Suite und Janáceks Sinfonietta , Benjamin Brittens Frühlingssinfonie , Olivier Messiaens Offrandes oubliées und die sowjetischerseits umstrittene 10. Sinfonie von Schostakowitsch sowie sein 1. Violinkonzert.

Beim zweiten Warschauer Herbst im Jahre 1958 schienen dann schon alle Dämme gebrochen, die das sozialistische Polen bis dahin von der unerwünschten, dekadenten musikalischen Weltkultur bewahrt hatten. Da finden wir in der Aufführungschronik bereits Karlheinz Stockhausen mit seinem bahnbrechenden Gesang der Jünglinge und dem Klavierstück XI, mit elektronischen Stücken auch schon Herbert Eimert, Luciano Berio, Henri Pousseur und Bruno Maderna. Wir finden auch den großen Umstürzer John Cage mit Music of Changes, aus Prag war es der damalige spiritus rector der aufkeimenden Avantgarde, Miloslav Kabelác mit seiner Improvisation für Flöte solo, im selben Jahr 1958 auch schon György Ligeti mit seinem Tonbandstück Artikulation . Ligeti war mit der ungarischen Revolution aus seiner Heimat emigriert, zunächst nach Österreich, und hatte dann im Kölner elektronischen Studio Aufgaben gefunden; noch in den 70-er Jahren war


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